Algebra der Nacht
brauchtest sie noch nicht mal zu verkaufen, du konntest sie einfach verschwinden lassen.
Natürlich, du wärst der Hauptverdächtige gewesen – Versicherungsgesellschaften können in solchen Fragen sehr pingelig sein –, also musstest du vorher noch etwas tun. Du musstest dich selbst verschwinden lassen. Ein Toter kann schließlich seine eigenen Bücher nicht stehlen. Oder die Versicherungssumme dafür kassieren, und das bedeutet, du brauchtest für die Versicherung einen Begünstigten. Jemanden, der das Geld zuverlässig aufbewahrt, bis es gebraucht wird. Und derjenige war – offensichtlich ich . Allerdings bist du nicht dazu gekommen, mir das zu sagen.
Was den Rest betrifft … ich vermute, es war Lily, die die Bücher an einen sicheren Ort hat bringen lassen … Gott weiß, wohin. Und du – tja, du hattest alle Freiheiten, die du dir nur wün
schen konntest. Du hast dich nach North Carolina abgesetzt, dich in Amorys Bude verkrochen und deinem Traum nachgejagt. Deiner einmaligen Chance, dem Jackpot.
Dir hat noch niemand nachsagen können, dass du dich mit Kleinigkeiten abgibst, Alonzo. Oder dich reinlegen lässt. Dir musste klar sein, dass Bernard Styles hinter dir her sein würde. Er würde sein Dokument wiederhaben wollen, nicht? Und früher oder später würde er bei dir anklopfen, und weil du ein wirklich schlauer Fuchs bist, wusstest du, wie du auch das zu deinem Vorteil nutzen konntest. Indem du ihn zum Sündenbock gemacht hast.«
Alonzo hatte noch nicht einmal gezuckt, nur sein Kopf neigte sich jetzt ein wenig zur Seite.
»Und da kam Clarissa ins Spiel«, sagte ich. »Du hattest sie schon früh durchschaut, hast sie aber weiter ihre Informationen an Styles liefern lassen, weil dir klar war, dass ihn das anlocken würde. Und dir war klar, dass er für die Rolle, die du für ihn vorgesehen hattest, wie geschaffen ist. Ist doch wahr, du brauchst nur eine Minute mit dem Kerl zu verbringen, und die Schatten des Todes kommen herangekrochen.
Nein, erstens hast du ihn sehr gut besetzt, Alonzo, zweitens hat er mitgespielt, und drittens habe ich die ganze Inszenierung geglaubt. Als die zwei Rüpel in Heathrow auftauchten, hat mir eingeleuchtet, dass Styles sie geschickt hatte. Als Amory getötet wurde, habe ich das auffälligste Detail übersehen, nämlich dass du als Einziger bei ihm im Haus warst. Als Einziger ungehindert … ach, wo es mir gerade einfällt, wie hast du ihn eigentlich umgebracht, Alonzo? Vergiftet? Erdrosselt?«
Alonzo zog die Mundwinkel herab.
»Na ja«, sagte ich. »ich ahne zumindest, warum du es getan hast. Amory brauchte Geld, das sah man. Er war leicht zu kaufen. Vielleicht hast du ihn überrascht, als er mit einem anderen Sammler ins Geschäft kommen wollte. Vielleicht sogar mit Styles. Versteh mich recht, Alonzo, ich billige nicht, was du getan hast, aber – aber ich kann es in gewisser Weise nachvollziehen.«
Ich verstummte.
» Lily jedoch …«
Ich machte einen Schritt auf ihn zu.
»Die Frau, die dir die ganzen Jahre treu gedient hat, Alonzo. Wie konntest du das tun?«
Daran zeigte sich die Veränderung, die zwischen uns eingetreten war, am deutlichsten: Er konnte mich nicht mehr durch Spott weichklopfen. Die Wax'sche Selbstherrlichkeit zog nicht mehr, und er musste nach neuen Mitteln und Wegen suchen.
»Es war nicht Lilys Schuld«, murmelte er. »Sie war eben schwach.«
Ich sah ihn an. Und zwar sehr lange.
»Was soll das denn heißen, Alonzo?«
»Es heißt , sie brachte es nicht fertig.«
Die gesamte 240 Pfund schwere Gestalt bebte nun vor Zorn.
»Sie hat es mir gebeichtet, Henry! Wie dicht sie dran war, dir die ganze Chose zu verraten. Und zwar schon nach zwei Drinks! Glaubst du, sie hätte eine polizeiliche Befragung überstanden? Nein. Offensichtlich nicht.«
Ich presste meine Hände an den Kopf.
»Großer Gott, Alonzo.«
Irgendwo drehte sich die Welt bestimmt noch um ihre Achse. Hier hatte sie angehalten.
»Gut«, sagte ich. »Eins noch. Was hattest du dir für mich ausgedacht?«
Er sah mich mit einem Blick an, in dem reines, ich würde sogar behaupten, nicht geheucheltes Erstaunen lag.
»Du verstehst bestimmt, warum ich das frage«, sagte ich. »Ich meine, nachdem der Schatz gefunden war, hatte ich meine Schuldigkeit ja ebenfalls getan. Kein Grund, mich noch weiter dabeizuhaben.«
Das Komische ist: ich war nicht mal böse auf ihn, ich wollte es nur wissen. Alonzos Reaktion aber war mehr als kurios. Sein Gesicht ging aus dem Leim, und die Stimme, die
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