Algebra der Nacht

Titel: Algebra der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Bayard

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inzwischen gestorben, und das Theater hatte allen Reiz früherer Zeiten verloren. Harriot empfand Widerwillen gegen die erzwungene Intimität … den Eintopf aus Geräuschen und Gerüchen … die Höflinge, die gestriegelt und aufgeputzt am Bühnenrand aufgereiht saßen, und den lärmenden Pöbel im Parkett … das so wenig aristotelische Durcheinander der Idiome ; Komödie und Tragödie zu einen Topf geworfen und miteinander verkocht.
    Immerhin, heute Abend nahm Ralegh ihn nicht mit in den Swan oder den Globe, sondern in die Hall of Middle Temple, wo sich unter dem großen doppelten Hammerbalken-Gewölbe eine Schar von Studenten der Jurisprudenz versammelt hatte, um zu vergessen, was immer sie auch studierten.
    »Das wird Ihnen behagen«, sagte Ralegh.
    Behagen . Eine so vielfach ausdeutbare und verbrämte Aussage, dass Harriot nur Grauen empfand, als die vier Schauspieler, üppig herausgeputzt wie nur je ein Höfling von Westminster, an der Hohen Tafel zusammenkamen.
    Sie gaben junge Spanier, hochgesinnte Narren, die um ihrer Studien willen den Frauen abgeschworen hatten. Navarra , erklärte ihr König …

     … soll das Wunder sein der Welt;
    Sein Hof sei eine klein' Akademie,
    Der Kunst stiller Beschaulichkeit ergeben.

    Der Schock kam langsam – ein sich steigerndes Gefühl der Unwirklichkeit. Der König war mit seiner Rede noch nicht einmal ganz fertig, da zweifelte Harriot bereits an dessen Existenz. An der Existenz des Stücks. Und seiner eigenen, der des Zuschauers.
    Nicht zu bestreiten jedoch war die grimmige Befriedigung, die um Raleghs Lippen spielte. Harriot ging ein Licht auf: Er hatte den bewussten Namen ein weiteres Mal hören sollen. Den Namen, den sie sich vor so vielen Jahren in Sherborne gegeben hatten.
    Eine klein' Akademie .
    Da sie sich der Vermessenheit ihres Vergleichs mit Plato von Anfang an bewusst gewesen waren, hatten sie stets Wert darauf gelegt, das Adjektiv – klein – zu betonen und nicht das Nomen. Unsere kleine Akademie. Große Fragen für eine so kleine Akademie … Darf ich ein Thema für unsere unbedeutende kleine Akademie vorschlagen?
    Und jetzt hatte der Sohn des Handschuhmachers (wie Marlowe, der Schuhmachersohn, ihn immer genannt hatte) ihren Namen in einem Akt krasser Schamlosigkeit zu einem Ballon der Anmaßung aufgeblasen. Akademie, fürwahr , sagte Shakespeare seinem Publikum. Mal abwarten, bis ein hübsches Mädchen vorbeischwimmt, dann werden wir ja sehen, wie tief ihre Gedanken gehen.
    Und hier, in der wirklichen Akademie des Middle Temple, konnte die Botschaft nicht besser empfangen werden. Zwei Stunden lang saß Harriot dort auf der Polsterbank, betäubt vom Gelächter all der jungen Advokaten rings um ihn, die sich an seinem Leichnam gütlich taten.
    Als er später am Abend den Strand entlang heimwärts schritt, drehte er sich einmal um und sah, dass sogar Raleghs Diener ob der Erinnerung grinste.
    »Tja, ja«, sagte Ralegh.
    Der große Mann war an diesem Abend dezent gekleidet, das heißt, seine Perlen waren in den schwarzen Samt eingenäht. Fast hätte man meinen können, er sei inkognito unterwegs, hätte er mit seinen sechs Fuß nicht alle anderen auf der Straße um Haupteslänge überragt.
    »Keine Sorge, Tom. Was kümmert's uns, wenn die Welt sich gegen uns gewendet hat? Sie wird sich auch wieder andersherum wenden.«
    Ralegh humpelte an diesem Abend – ein Souvenir vom Sturm auf Cadiz, wo ihm Kartätschensplitter wie ein Schwarm Pfeile ins Bein gedrungen waren. Sie gingen ein gutes Stück weiter, und schließlich murmelte Ralegh im breiten Dialekt seiner Heimat Devonshire:
    »Merkwürdiger Ausdruck.«
    »Welcher?«
    »Die Schule der Nacht.«

    11
    U nd im gleichen Atemzug machten die beiden ihn sich zu eigen.
    Der Name passte doch, nicht wahr? Hatten sie sich nicht immer mit Bedacht erst am späten Abend getroffen? In den Ruinen des alten Schlosses, weit weg von den Unterkünften der Dienstboten … acht Männer, die bis zur rosenfingrigen Morgendämmerung debattierten … jedes Wort im strengsten Vertrauen.
    Und wenn jemand über ein verbotenes Buch sprechen wollte – Machiavelli, Montaigne, Agrippas De occulta philosophia , Haywards History of Henry IV –, musste der Band in einem Sack dorthin geschmuggelt werden. Keine Notizen, kein Protokoll. Jedem wurde eine einzige Bienenwachskerze zugestanden, um den Weg dorthin zu finden, was zur Folge hatte, dass der Raum anfangs sogar noch dunkler wirkte als die Nacht.
    Wenn ihre Augen