Alias XX
finden, werde ich dafür sorgen, dass er so schnell wie irgendwie möglich hierher zurückkehrt.«
Es schien sie zu beruhigen, obwohl seine Worte gänzlich ohne Belang waren. Irgendwie möglich. Ein vergebliches Unterfangen. Mit den Hoffnungen, die er in Thomas Wall setzte, machte er sich doch zum Narren. Schlaflosigkeit, Paranoia, eine breitgefächerte, aber wenig gravierende Kriegsneurose. Thomas Wall gegen Dietrich Sondegger, das war wie ein Weizenhalm gegen eine Sichel. Dennoch, entweder so, oder er musste – nicht irgendwie, sondern ganz konkret – damit rechnen, das Zwanziger-Komitee zu verlieren.
4
Das Zwanziger-Komitee begann mit »Sleet«, einem Maschinenbauingenieur, der bei einem Zulieferbetrieb für die Admiralität angestellt war. Anfang der dreißiger Jahre reiste Sleet häufig geschäftlich nach Deutschland und kehrte gelegentlich mit technischen Informationen für die Admiralität und den MI6 zurück. Ein Gelegenheitsspion, anspruchslos und eher unergiebig. Trotzdem hielt man sich an die Richtlinien – seine Informationen wurden überprüft, die Kontakte kontrolliert, wiederholt überwachte man seinen Alltag.
1936 trugen diese Bemühungen Früchte. Der militärische Geheimdienst fing einen Brief ab, den Sleet an einen deutschen Agenten in Hamburg geschrieben hatte; es stellte sich heraus, dass der Maschinenbauingenieur sein Brot auf beiden Seiten butterte. Man erwog, Sleet festzunehmen, aber wozu? Unter welchem Vorwand? Er hatte lediglich Briefe an einen Bürger eines Landes geschrieben, das mit England nicht im Krieg war.
Die Geduld zahlte sich aus. Einige Monate später kontaktierte Sleet den MI6 und erzählte, er sei vom deutschen Geheimdienst, der Abwehr, angeworben worden. Er habe zugestimmt, für die Nazis zu arbeiten, um – so sagte er – als britischer Agent in die Abwehr einzudringen. Und so betrieb Sleet von 1936 bis 1939 sein doppeltes Spiel. Oder war es ein dreifaches? Das war die Frage, auf die es keine Antwort gab – und, ging es Davies-Frank durch den Kopf, eine Frage, die sich niemand stellte. Sleet war kaum als Agent eingestuft worden, der von weltbewegender Bedeutung sein könnte.
Aber er werkelte weiter vor sich hin. Er reichte Informationen an die Engländer weiter, falsche Namen, die sich unmöglich bestätigen ließen, Gesprächsfetzen, Einblicke in die Arbeitsweise seiner Kontakte. Er lieferte seinen deutschen Gewährsleuten Aufzeichnungen zum britischen Schiffsbau oder zur Stimmung in der Bevölkerung. Und er suchte, auf die Bitte seines Abwehr-Führungsoffiziers, Anschluss an die zunehmend beliebter werdende British Union of Fascists des Sir Oswald Mosley.
Er wurde angewiesen, Informationen über die BUF zu sammeln, herauszufinden, welche Mitglieder über genügend Einfluss oder Macht verfügten, damit sich eine direkte Kontaktaufnahme lohne. Er wurde instruiert, mit der BUF die Inbetriebnahme und Nutzung von vier Funkgeräten auszuhandeln. Berichte wurden verfasst. Informationen gesammelt. Protokolle geschrieben. Und Sleet operierte weiterhin unter der eher nachlässigen Führung sowohl der Engländer als auch der Deutschen. Es kam wenig dabei heraus, er richtete wenig Schaden an.
Im Januar 1939 wurde einem gelangweilten untergeordneten Agenten, der die Geduld seines Vorgesetzten ausgereizt hatte, befohlen, Sleet zu beschatten. Zwei Tage lang folgte er ihm auf dessen Weg von seinem Zuhause zum Büro und zurück. Am dritten Tag fuhr Sleet zur Victoria Station, wo er in der Gepäckaufbewahrung einen gelben Pepita-Koffer abholte. Darin befand sich, als Grammophon getarnt, ein drahtloses Sende- und Empfangsgerät. Sleet installierte es auf seinem Dachboden und nahm die Verbindung mit Hamburg auf.
Ein weiterer Bericht wurde verfasst. Er sorgte für leichte Verwunderung, aber kaum mehr. Dann kam die
Kriegserklärung – und Sleet wurde in Gewahrsam genommen. Sein Funkgerät wanderte mit ihm ins Wandsworth-Gefängnis und wurde in seiner Zelle aufgebaut. Aus dem Gefängnis heraus nahm er erneut Kontakt mit Hamburg auf und nahm Befehle und Anfragen nach bestimmten Informationen entgegen. Unter Anleitung seiner britischen Gastgeber erstellte er darauf fingierte Antworten.
Das Zwanziger-Komitee war zu jenem Zeitpunkt, als das gesamte unter englischer Kontrolle stehende Spionagenetz der Deutschen einzig und allein aus Sleet bestand, noch nicht gebildet worden. Aber auch damals, in dieser ersten ungewissen Zeit, ging es ausschließlich um das eine: die Wahrheit. Die
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