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Alias XX

Alias XX

Titel: Alias XX Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joel Ross
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Knöchel knacken. »Chilton muss sich ja auch nich’ in dieser Waschküche rumtreiben und – oha! Wo zum Teufel steckst du?«
    »Hier, warte«, kam es von hinten.
    Rugg war mindestens einen Kopf größer als Renard und gut doppelt so breit. Mit jedem Schritt kam er schneller und weiter voran, weshalb er seit dem Tag, an dem sie von der Mutterbrust entwöhnt wurden, auf den kleinen Scheißer warten musste.
    »Den Yank auftreiben? Hier? Würd sich ja eher lohnen, in dei’m Arsch nach Gold zu schürfen.«
    »Chilton hat’s ganz klar gesagt.«
    »Dass wir ’nen weißen Verbandsfetzen aufstöbern sollen? Einen Yank in der Nacht mit verhunzter Hand und ’nem irren Blick.«
    »Er sollte im Club sein oder in der Klapsmühle oder am Market.«
    Rugg packte Renard am Kinn und schüttelte ihn durch.
    »Shepherd Market. Und wo sind wir jetzt, vermaledeite Scheiße?«
    Renard sagte, das wisse er schon, worauf er mit großen Augen in die Dunkelheit starrte.
    Rugg wartete, dann schleifte er Renard über die Straße, wo er Stimmen gehört hatte. Luftschutzwarte. Hatten ihn mal lautstark zusammengestaucht, obwohl er doch nur ein paar kalten Vögeln ihr bisschen Krimskrams abgenommen hatte. Brauchten sie doch sowieso nicht mehr. War kein Diebstahl. War das, was man halt so fand. Die Stimmen klangen inzwischen näher, vielleicht hatte sich der Nebel gelichtet.
    »Oha«, rief Rugg.
    Die Luftschutzwarte blieben stehen, ihre Taschenlampen waren dünne Pissefunzeln im Nebel.
    »Shepherd Market«, sagte er. »Wo, vermaledeite …«
    »Können’s beim besten Willen nicht finden«, flötete Renard.
    »Haben dort eine Verabredung.«
    »Shepherd Market? Da sind Sie hier völlig falsch.« Der Luftschutzwart war ein Mann mit ziegelrotem Gesicht und weißem Haar, das heller leuchtete als ein Verband.
    »Immer geradeaus«, sagte seine Begleiterin, eine Frau mit dem Gesicht einer Henne. »Bis Sie zum Vincent Square kommen. Von dort …«
    »Shepherd Market«, sagte der andere. » Shepherd Market, Miss Dodd.«
    Die beiden bekamen sich in die Wolle. Das wiederum brachte Rugg auf die Palme. Er hatte ihnen doch nur ein bisschen Krimskrams abgenommen, hätte doch sowieso keiner mehr vermisst.
    »Und dann in westliche Richtung«, sagte der Mann. »Vier, fünf, sechs Straßen, und dann kommen Sie …«
    Rugg musste grummeln. Am liebsten hätte er den Kopf des Alten von hinten zwischen die Arme geklemmt und zugedrückt, bis das Gesicht noch roter anlief und unter der weißen Haarkrone einfach platzte. Und dann die Frau mit ihrer gackernden Stimme.
    Renard stieß ihn mit dem Ellbogen an. »Sechs Straßen, dann rechts und …«
    Rugg blieb ruhig, während sie weiterfaselten. Aber es brachte ihn wirklich auf die Palme.
    »Herzlichen Dank«, sagte Renard. Die anderen verzogen sich. »Wir sind eineinhalb beschissene Kilometer davon entfernt. Aber bald haben wir den Yank. Solange musst du dich noch am Riemen reißen.«
    »Wenn er überhaupt da ist.«
    »Wenn nicht, ist er an dem zweiten Ort. Oder am dritten.«
    »Hat Chilton gesagt.« Rugg spürte ein Kribbeln im Nacken. Gut, wenn’s mal endlich wieder was Vernünftiges zu tun gab. War schon zu lange her. Sucht den Yank, seid sehr nett zu ihm.
     

12
 
1. Dezember 1941, Abend
    Harriet hatte Earl im Wohnzimmer gehört. Nahm er ihr Bild von der Anrichte? Lag ein Lächeln auf seinem markanten, hübschen Gesicht? Sie fasste sich ans Haar – zu zerzaust, um es rasch wieder in Ordnung zu bringen –, schlüpfte aus ihren Schuhen und eilte ins Wohnzimmer. Was ihr an Durchschlagskraft fehlte, wollte sie mit ihrem Überraschungseffekt wettmachen.
    Sein Mantel hing nicht über dem Geländer. Die Verdunkelungsvorhänge waren zugezogen, aber nur die Wandleuchte brannte. Er raschelte im dunklen Wohnzimmer. Sie blieb in der Tür stehen und beobachtete ihn. Earl war groß und breitschultrig, hier im Schatten wirkte er allerdings schmaler. Er bewegte sich mit einer gewissen Unsicherheit. Warum schlich er hier herum?
    Fast hätte sie gelacht. Er hatte ihr ein extravagantes Weihnachtsgeschenk gekauft und wollte es jetzt verstecken? Das sah ihm zwar nicht ähnlich, das Herumschleichen aber passte noch weniger zu ihm. Earl war nie unsicher. Er betrat nicht einfach einen Raum, er übernahm sofort das Kommando. Er schlich nicht, er schritt einher. Er stellte sich selbst nie in Frage, haderte nicht. Ihre Selbstzweifel waren ihm völlig fremd. Kein Bedauern, keine Fantasien. Ihm blickten keine toten Agenten über die Schulter,

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