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Alias XX

Alias XX

Titel: Alias XX Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joel Ross
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Earl zum letzten Mal gesehen?«
    Inch setzte eine verdutzte Miene auf. »Wann hab ich ihr was zum letzten Mal gesehen?«
    » Earl. Wann haben Sie ihn gesehen?«
    »Ach, den Earl! Gestern, vorgestern. Am Freitag.«
    »Am Freitag?«
    »Nein, Freitag spielte das Boneless-Bateman-Orchester. Donnerstag war ich nicht da. Mittwoch.«
    »Sie haben ihn am Mittwoch gesehen?«
    »Nicht Mittwoch. Glaube, es war Dienstag.«
    »Sicher?«
    »Bin seit Oktober hinüber, Tom. Ich bin mir über nichts mehr sicher.« Er blickte melancholisch. »Die Tage verschwimmen, seitdem ich am Boden festsitze.«
    »Erwarten Sie ihn heute Abend? Morgen?«
    »Keine Erwartungen, das Kredo unserer Familie.« Inch leerte sein Glas. »Man hat mir eine Blenheim verpasst. Und endlich find ich einen Deutschen, auf den ich anvisieren kann, komm direkt von vorn auf seine Messy Eins-Null-Neun zu. Aber dann hat es mir den Flügel abgeschert, lande ohne viel Geholpere in einem Feld, und was machen die, stecken mich in eine Ausbildungseinheit.«
    »Hat er erwähnt …«, unterbrach Tom ihn zähneknirschend, »hat er gesagt, wohin er wollte?«
    »Na, zurück nach Deutschland, nehm ich doch an. Ich meine, er hat doch Feuer gefangen und war voller Einschusslöcher,
aber …«
    »Mein Gott! Ist Earl immer an Ihrem Tisch?«
    »Oder oben, in Gesellschaft.« Inch überlegte den Bruchteil einer Sekunde. »Aber die Mädchen werden nichts wissen. Bei den Mädchen pflegte Earl eine sehr … gestochene Ausdrucksweise, müssen Sie wissen. Da ging es ihm weniger um den Ausdruck, sondern mehr ums Stechen. Stechen, stach, gestochen .«
    Eine Mädchenstimme hinter ihnen, unbeschwert und heiter: »Flight Lieutenant Rivere. Wenn Sie damit fertig sind, stechen zu beugen, könnten Sie mich ja vielleicht vorstellen.«
    »Was?« Inch hievte sich mit seinem gesunden Bein hoch.
    »Beugen? Vor Ihnen verbeuge ich mich doch immer, Vee! Das will ich aber meinen!«
    Das Mädchen legte die Hand auf Inchs Stuhllehne und lächelte Tom an.
    Sie war die Bedienung mit den weißen Handschuhen, jene, die sich nach ihm umgedreht hatte. Die Silhouette mit dem Nippel. Sie trug jetzt ein einfaches farbloses Kleid, das nur einen Tick davon entfernt war, um als billig zu gelten, aber an ihr wirkte es wie modellierter Samt. Ihr schwarzes Haar hatte sie mit einem Tuch hochgebunden, und Tom hatte das Gefühl, als hätte sie bewusst diese schmucklose Aufmachung gewählt, um eine ganz bestimmte Wirkung zu erzielen – die Wirkung eines Vamps in einem einfachen Kleid und einem Kopftuch.
    Tom erhob sich und wandte sich ihr zu. Sie hatte kleine, weiße Zähne und breite, lächelnde Lippen. Dunkelblaue, weit auseinanderliegende Augen, die ebenso fröhlich wirkten wie der Mund. Sie strahlte etwas Naives, Überschwängliches aus, auch wenn sie so gebaut war wie ein Kalendermädchen.
    »Jeder Kerl«, fuhr Inch fort, »der sich vor Ihnen nicht verbeugt, ist keiner, der nicht … oh, natürlich! Miss Venus Floryville, darf ich Ihnen Mr. Tommy Wall vorstellen.«
    »Audrey Pritchett«, sagte das Mädchen. »Ich hab Sie kurz für Earl gehalten. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr es mich freut, dass Sie nicht Earl sind.«
    »Ich bin sein Bruder. Sie … kennen Earl?«
    Sie lachte – das Lachen eines ungezogenen Kindes. »Ich bin keines seiner Mädels, wenn Sie das meinen.«
    »Aber nicht, weil er es nicht versucht hat, was?«, sagte Inch.
    »Vee nimmt einen gefangen. Eine Venusfliegenfalle. Was aber nicht der Grund für ihren Namen ist, sondern …«
    »Schhhh, Inch.« Sie legte ihm ihre schlanke Hand auf den Mund. »Lassen Sie auch mal die anderen reden.«
    »Ich suche meinen Bruder«, sagte Tom. »Ich kann ihn
nicht …«
    »Sind Sie denn überhaupt nicht neugierig?«, fragte sie, während sie Platz nahm.
    Neugierig worauf? »Bin gespannt wie ein Flitzebogen«, sagte er.
    Wieder lachte sie, ungezügelt, überbordend. Ein Mann konnte sich in ihrem Lachen verlieren. »Manchmal wünsche ich mir, Amerikaner würden vernünftig reden«, sagte sie.
    »Es sollte Sie wirklich interessieren, warum ich froh bin, dass Sie nicht Earl sind.«
    »Warum sind Sie froh, dass ich nicht Earl bin?«, fragte er.
    Sie biss sich auf die Oberlippe. »Das werde ich Ihnen nicht sagen. Nicht, wenn Sie mich so fragen.«
    »Soll ich’s Ihnen vorsingen?«
    »Flight Lieutenant Rivere«, sagte sie und wandte sich ab.
    »Wie sagt Ihnen dieser Abend zu?«
    »Fragen Sie lieber, alter Kumpel«, sagte Inch zu Tom. »Sonst schmollt sie den ganzen

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