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Alias XX

Alias XX

Titel: Alias XX Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joel Ross
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Abend. Na ja, ein oder zwei Stunden. Ah, lächelt schon wieder. Hat’s nicht so mit dem Schmollen, unsere Vee. Dafür ein ziemliches Temperament. Ging einmal auf eines der anderen Mädchen los und verpasste ihm einen starken linken Haken. Die andere hatte eine Stunde lang Nasenbluten.«
    Abrupt wandte er seine trunkene Aufmerksamkeit der Bühne zu. »Wunderbares Tableau übrigens, Vee. Fand’s zwar nicht so hinreißend wie die Gymnosophisten des Maharadscha, aber …«
    »Sie haben eine der Tänzerinnen k. o. geschlagen?«, sagte Tom.
    »Ha!«, sagte sie. »Und jetzt fragen Sie mich, warum ich froh bin, dass Sie nicht Earl sind – in genau dem gleichen Tonfall!«
    Er lächelte über den Eifer in ihrer Stimme. »Warum sind Sie froh, dass ich nicht Earl bin?«
    »Weil ich Ihnen lieber keinen Tisch über den Schädel ziehen möchte.«
    »Ja? Wann haben Sie Earl zum letzten Mal gesehen? Wissen Sie, wo er ist?«
    Sie legte den Kopf schief. »Hat Inch Sie schon angesteckt? Er kann einen richtig wütend machen, wenn er nicht ganz nüchtern ist. Das letzte Mal, als ich Earl gesehen …«
    »Ich hab unseren glücklichen Jungen nicht angesteckt«, sagte Inch. »Hab ihm schon gesagt, dass ich Earl am Freitag getroffen habe – nur dass am Freitag Boneless Bateman gespielt haben, es muss also Mittwoch oder Dienstag gewesen sein, aber …«
    »Inch hat wieder einen seiner Tage«, sagte sie, während der Flight Lieutenant vor sich hin brabbelte.
    »So nennen Sie das?«
    »Lassen Sie sich nicht täuschen. Er ist der Schrecken der Lüfte. Hat in zehn Monaten seine dreißig Einsätze geflogen, dann hundert Einsätze als Nachtjäger. Zweiundzwanzig bestätigte Abschüsse. Beim hundertzweiten Einsatz ist er abgestürzt, und jetzt soll er ausbilden. Erträgt den bequemen Dienst nicht.« Sie stibitzte sich ein Stück Käse von Inchs Teller. »Sie suchen also nach Earl?«
    »Ja, Miss Pritchett, ich …«
    »Audrey.«
    »Audrey – ich muss ihn finden.«
    »Da sind Sie nicht der Einzige. Eigentlich hatte ich vor, ihm ganz zufällig eine Gabel ins Auge zu rammen. Er ist nicht zu Hause?« Sie knabberte am Käse, während Tom den Kopf schüttelte. »Dann ist Inch der Letzte, der ihn gesehen hat. Stimmt doch, Inch? Sie sind der Letzte, der Earl gesehen hat, nachdem er …«
    »Nachdem er was?«, fragte Tom, als er sah, wie sich ihre Wangen röteten.
    Das Mädchen beachtete ihn nicht. Inch sagte: »Was? Hab Earl nicht gesehen. Hab ihn nur gehört. Klar, bei seinem schnoddrigen amerikanischen Genuschel versteht man nur jedes fünfte Wort …«
    »Inch hört genauso gut, wie er im Moment tanzen kann«, sagte das Mädchen mit Blick auf die Krücke. »Immer dieses Maschinengewehrfeuer.«
    »Er sagte, er wolle zum Hyde Park«, sagte Inch. »Hab ich klar und deutlich gehört. Bin bei ihm vorbei – geht ja nicht so
schnell –, und in dem Moment gibt die Sirene Entwarnung. Der Earl hat geredet, und dann verstummt die Sirene, und er brüllt was von einem Laden, der ›Hyde Street Misfits‹ heißt.«
    »›Hyde Street Misfits‹?«, sagte Tom. »Was ist das? Ist der hier in der Nähe?«
    »Eine Änderungsschneiderei in der Hyde Street, wie der Name schon sagt.« Inch warf dem Mädchen einen triumphierenden Blick zu. »Mit seinem Akzent, und durch die Tür durch, ein Elefant mit Hörrohr hätte das nicht besser hingekriegt.«
    »›Durch die Tür durch‹?«, fragte Tom. »Welche Tür?«
    »Oben, meine ich. Die Tür zu seinem Zimmer.«
    Earls Zimmer? Tom erhob sich. Harriet hatte ihm nicht erlauben wollen, das Haus zu durchsuchen, aber es gab Besseres. Earl hatte hier ein Zimmer.
    Das Mädchen legte ihm die Hand auf den Arm. Er drehte sich um. Ihr Gesicht war keine dreißig Zentimeter von seinem entfernt. Sie war jung, ihre Haut war seidig, und sie glühte wie eine warme Kerze in einem warmen, dunklen Raum. Ihre Augen waren so blau, dass sie beinahe schwarz wirkten. Ihre Lippen waren breit und rot und weich und sahen aus, als lachten sie gern.
    »Kommen Sie«, sagte sie.
     
    Audrey führte Tom nach oben. Sie erzählte eine Geschichte über Inch. Er dachte an Earl, an Kreta und den Bauernhof, an die Wärme ihrer Finger auf seinem Arm. Sie blieb auf dem Treppenabsatz stehen, ihr Gesicht schimmerte im Licht der Wandleuchter. Sie roch nach Jasmin, einer kleinen weißen, in der Nacht blühenden Blume. »Sie haben nicht ein Wort mitbekommen«, sagte sie.
    »Tut mir leid«, sagte er. »Ich hab … nachgedacht.«
    »Wirklich?«
    »Ich kann nicht

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