Alias XX
Er war ohnmächtig geworden, wieder aufgewacht und erneut ohnmächtig geworden. Im Rowansea war einiges los. Tom sah es schlaglichtartig vor sich: die Anfahrt, den Hofsaal, den Gang, die Trage, die zu schmal war für seine Schultern.
Missbilligend sagte der Arzt, Tom hätte sich keine Verletzungen zufügen sollen.
Tom sagte, nein, es wären Straßenräuber gewesen. Man solle Davies-Frank holen.
Missbilligend untersuchte der Arzt seine Hand. Tom redete sich ein, es sei die Hand eines anderen, sie hätte nichts mit ihm zu tun. Der Arzt zog eine Spritze auf. Morphium?
»Nein«, sagte Tom.
»Wird noch nicht mal piksen«, sagte der Arzt.
»Nein.«
»Sie sollten sich schämen, Sir, in Ihrem Alter, Angst vor
einer …«
Der Arzt versuchte ihm die Nadel ins Fleisch zu rammen, aber Tom wand sich auf der Trage. Stieß eine der Schwestern fort, patschte einige Male gegen den Arm des Arztes. Bruchstückhafte Erinnerungen an einen Kampf – an einen sehr einseitigen, denn Tom war festgeschnallt. MacGovern drückte ihn nach unten, sein heißer Atem blies Tom ins Gesicht.
Mrs. Harper erschien und scheuchte sie fort. Am liebsten wäre Tom ihr weinend an den ausladenden, gestärkten Busen gefallen. Stattdessen sagte er ihr, sie solle Davies-Frank holen. Er müsse mit Davies-Frank sprechen, bevor das nächste Gorillapaar ihn umbringen würde. Wer zum Teufel waren Kong und Pferdegebiss? Er musste mit Sondegger reden, musste die Änderungsschneiderei in der Hyde Street finden …
Er spürte einen Stich im Bein, MacGovern sah grinsend auf ihn herab, in der Hand die Spritze. Tom schlug auf ihn ein, so hart wie ein Schmetterling, der seine Schwingen ausbreitete.
Er brachte Rugg auf die Palme, dieser Dienstboteneingang von Burnham Chase. War er vielleicht ein Tagelöhner? Er, verdammt noch mal, er arbeitete doch in der Nacht.
»Jede Haushälterin bekommt einen Schreikrampf, wenn sie dich sieht«, sagte Renard zu ihm. »Bei deiner Fresse.«
Rugg schnaubte. Es brachte ihn verdammt noch mal auf die Palme.
Drinnen schloss sich ein enger Gang an, dessen Decke so niedrig war, dass er sich einen Knick im Hals holte. Er ließ seine Finger knacken, einen nach dem anderen, und folgte Renard in einen niedrigen, im Keller gelegenen Raum. Holztische und Schränke für das vermaledeite Gesinde, über einem Blechausguss ein Guckloch von Fenster. Der Raum, in dem Messer geschliffen und Stiefel beschlagen worden waren.
Renard blieb an der Tür stehen. Rugg sah sich nach etwas um, das er zerbrechen konnte. Entdeckte den Schuhlöffel von so einem Adeligen und zerbrach ihn. Auf einem der Holztische war eine flache Vertiefung, stammte von den Händen, die hier unzählige Jahre poliert und gewetzt, poliert und gewetzt hatten. Gab eine schöne Sitzfläche für seinen Arsch ab. Chilton kam, und er und Renard plauderten lange über Dinge, über die es eigentlich nichts zu plaudern gab. Dann sagte Chilton: »Sie haben den Mann problemlos gefunden?«
Problemlos? In der eiskalten, finsteren Nebelsuppe. Hatte sich fast die Eier abgefroren.
»Keinerlei Probleme«, sagte Renard. »Wir haben ihn vor dem Waterfall erwischt und dann an einen … einen etwas vertraulicheren Ort gebracht.«
»Er erwies sich als kooperativ?«
»Wir haben ihn davon überzeugen können, dass es das Klügste wäre, wenn er mit uns zusammenarbeitet.«
»Er ist zerbrechlich und verwirrt – es kann also nicht so schwierig gewesen sein.«
»Zerbrechlich?« Rugg schnaubte. »Der Yank is’ so zerbrechlich wie altes Stiefelleder. Musst’n ihn schon verdammt hart überzeugen.«
»Er hat Ihnen was genau gesagt?«
Rugg drückte die Handkante gegen den Schnitt auf seiner Wange und überließ Renard das Reden. Renard redete gern.
»Er ist gestern Morgen von einem Mann der Home Guard besucht worden. David Frank. Frank wollte …«
»David Frank.« Chiltons graue Augen funkelten. »Ist das ein Jude?«
»Davon weiß ich nichts, M’lord«, sagte Renard. M ’lord. Soll ich das nächste Mal auch noch ’nen Knicks machen? Rugg brach ein weiteres Stück vom Schuhlöffel ab.
»Was hat der Amerikaner über seinen Bruder erzählt?«, fragte Chilton.
»Er weiß nicht, wo sein Bruder ist«, sagte Renard. »Er ist genauso scharf drauf, ihn zu finden, wie Sie. Also, und dieser David …«
»… Frank, das ist ein anderer Fall.« Renard schob die Zähne zu einem wölfischen Lächeln vor. »Der Yank wollte nicht so recht über ihn herausrücken. Hat sich zugeknöpft gegeben, sehr
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