Alias XX
Kopf drüber zerbrechen. Wir haben schon selbst genug am Hals.«
»Hmmm. Wenigstens scheint Sondegger Tom wirklich für Earl zu halten.« Davies-Frank stand auf und warf mit Highcastle einen Blick auf die Karte. »Zufrieden?«
Highcastle grunzte. »Sie haben Rippen eingewiesen?«
»Rippen wird nicht derjenige sein, der den weißen Schirm hält. Sondern ich.«
Eine kurze, angespannte Stille. »Das ist kompletter Blödsinn.«
»Ich bin der Einzige, der so gut Deutsch spricht, um als Landsmann durchzugehen, falls es soweit kommen sollte.«
»Und wenn Abendammer einen Rückzieher macht …«
»Er ist Funker, kein Commander Flash. Ich stelle den Kontakt her, dann ziehe ich mich zurück.«
Highcastle blickte finster auf die Karte. Hinter den Brillengläsern wirkten seine Augen noch größer. »Thomas Wall«, sagte er verächtlich.
»Was hat er damit zu tun?«
»Amateure. Sie beide.«
Davies-Frank ließ sein Feuerzeug auf- und wieder zuschnappen. »Kontakt mit einem unbewaffneten Funker aufzunehmen, umgeben von Ihren Männern – wird doch ein Spaziergang sein.«
»Mitten in einem Minenfeld«, sagte Highcastle.
In dem kleinen Raum unter den Dachsparren nahm der kleine Mann am kleinen Tisch mit einer ruckartigen, nervösen Bewegung die Kopfhörer ab. Melville war blass – und wurde noch blasser, als er aufstand und an die Wand trat. Er hob die tintenbekleckste Hand. Er nickte sich selbst zu. Nickte noch einmal. Er klopfte an die Wand. Zweimal schnell, zweimal langsam.
Farquhar, ein weiterer Stenotypist, würde ihn in einer Viertelstunde ablösen. Wie schnell die Zeit verflog, und wie langsam sie manchmal dahinkroch! Die Dauer der Zeit leitete sich von der Abfolge der Gedanken ab, von der Geschwindigkeit, mit der sich Gedanken bildeten und wieder auflösten, ähnlich einer Benzinschliere in einer Regenlache. Nicht nur die Zeit, sondern auch das Leben entsprang dem Geist. Melville hatte viel gelernt. Er wusste so wenig. Die Nachricht, die ihm überantwortet wurde, war in einer Sprache, die er nicht entziffern konnte. Es spielte keine Rolle. Es gehörte nicht zu seinen Aufgaben, sich über Bedeutungen ein Urteil zu erlauben. Er war nur ein Empfänger – nun, jetzt auch ein Sender.
Er kehrte an den kleinen Tisch zurück. Er hatte eine Viertelstunde. Was es wirklich hieß, einer Überzeugung anzuhängen, hatte er erst an diesem Abend erfahren. Er würde nie wieder so tapfer sein wie an diesem Abend.
»Ein Minenfeld?« Davies-Frank unterdrückte ein Gähnen. »Weckt man so den alten Kampfgeist?«
»Sollte mich in die Falle hauen«, sagte Highcastle in Gedanken an die schmalen Pritschen im Erdgeschoss. »Morgen wird ein langer Tag.«
»Noch eine Unterweisung, dann bin ich fertig.« Davies-Frank sah auf die Uhr. »Farquhar ist spät dran.«
Bevor Highcastle darauf etwas erwidern konnte, waren Schritte auf der Treppe zu hören. Farquhar traf ein, voll der Entschuldigungen, Davies-Frank wies ihn kurz ein – unterrichtete ihn über den Brand und dessen Folgen, die neuen Vorkehrungen und Verhaltensregeln – und begleitete ihn zum Stenoraum. Er tat so, als würde er ihn der Höflichkeit willen begleiten, in Wirklichkeit aber ging er mit, um sich selbst auf die Probe zu stellen. Wenn er Angst hatte, würde er nicht richtig funktionieren. Er achtete auf seinen Herzschlag, als sie die Wache an ihrem wuchtigen Schreibtisch passierten und sich der weiß gestrichenen Tür näherten. Sein Herzschlag blieb ruhig und gleichmäßig. Joan sei Dank. Wichtig war es, sich daran zu erinnern, dass man kein abergläubischer Wilder war, dass ein Mensch nie mehr war als eben ein Mensch. Wichtig war, sich an die Gründe für die Angst zu erinnern, für die Lügen, die Nächte, die er nicht zu Hause verbringen konnte. Es ging um all jene, die ihr Leben riskierten, um die Nazis zu besiegen, ja, die sogar mehr als das aufs Spiel setzten. Sie würde er nie vergessen. Mr. Krajewski. Der Pole, der sich allein durch schiere Willenskraft mit gebrochenem Schlüsselbein von Lodz bis an die Ostsee geschleppt, mit ungeladener Pistole einen Fischkutter aufgebracht hatte und dann in England bei der SOE ausgebildet wurde, um unter falschem Namen nach Polen zurückzukehren. Mr. Vedel. Ein stiller Franzose, der nahezu im Alleingang ein Dutzend Sprengsätze gelegt hatte, die dafür sorgten, dass das Schienennetz in seinem Département völlig zusammenbrach und die Deutschen auf Lkw-Transporte ausweichen und dabei Brücken benutzen mussten,
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