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Alias XX

Alias XX

Titel: Alias XX Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joel Ross
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Zähnen – der Hausierer. Der Mann hockte hinter seinem Karren und aß Sardinen aus der Dose, er hatte seine fingerlosen Handschuhe nach hinten gerollt. Seine Fingerspitzen waren schwarz vom Ruß.
    »Ein Bissen gefällig, Chef?«, fragte der Mann und hielt ihm die Dose hin.
    »Sie sind Hausierer, Sie kaufen Bücher.«
    »Chapman, der bin ich.« Der Mann brach in schallendes Gelächter aus, sein Bart wellte sich wie der Pelz eines Tiers.
    »Haut und Knochen und Zähne wie von ’ner alten Ziege.«
    »Sie kaufen vom Waterfall? In der Nähe vom Tudor’s?«
    »Gehört zu mei’m Gebiet. Laken, bei denen es sich nich’ mehr lohnt, dass man sie flickt, und Fetzen, die man zu Decken zusammennähen kann.«
    »Und Bücher.«
    Der Mann schüttelte den Kopf. »Keine Bücher.«
    »Sie haben einen Bücherstapel gekauft« – Tom hob die Leinwandplane an, die den Karren halb bedeckte –, »gestern. Vom Waterfall.«
    »Nie un’ nimmer, Chef.«
    Tom fasste unter die Plane. Er stieß auf Messingbeschläge, Tonic-Flaschen, eine modrige Ledertasche, vollgestopft mit Stofffetzen …
    »Die werden mir ein schönes Sümmchen einbringen«, sagte der Mann und zeigte auf drei Schreibmaschinen. »›Taylor’s‹ in der Chancery, die zahlen am besten.«
    Tom wühlte sich tiefer durch den Karren, fand eine Tüte mit Blumensamen, ein dickes, mit einer Kordel zusammengebundenes Bündel Holzpflöcke – und entdeckte schließlich einige Bücher. Ein Mathematiklehrbuch mit Wasserflecken auf dem Umschlag und Willa Cathers Das Haus des Professors, aber nichts von Earl.
    »Haben Sie ein Feuerzeug?«, fragte Tom. Der Mann wischte sich seine fettverschmierten Handschuhe an der Hose ab. »Die hab ich. Kenn da einen, der in ’ner Munitionsfabrik arbeitet – lässt hin und wieder Benzinfeuerzeuge rüberwachsen. Drei Shilling sechs Pence.«
    »Wie steht’s mit Zigaretten?«
    Der Mann wühlte in seinen Taschen und brachte eine Hand voll halb gerauchter Kippen zum Vorschein. »Bedien’ Sie sich.«
    Tom ließ es sein. »Eine Taschenlampe? Ich könnte eine …«
    Er sah im Karren, unter einer zerbrochenen Keramiklampe, eine vertraute Farbe aufblitzen: einen Buchrücken. Ein Gedichtband von Robert Burns in der gleichen Farbe wie das Liebesnest im Waterfall. Tom schob die Lampe zur Seite und fand sechs weitere Bücher, Gedichte, Literatur, Philosophie. Keines von ihnen war der Tristram Shandy. Tom drehte sich dem verwahrlosten Mann zu und trat nah an ihn heran.
    »Die gehör’n mir nicht!« Verängstigt hob der Mann die Hände. »Die gehör’n mir nicht. Ich hab sie nicht gekauft – sind nur auf Kommission. Ich fahr sie rum und frag die Buchhändler, ob sie sie brauchen. Bring sie zu Cubby’s zurück und …«
    »Wie viele?«
    »Die da.«
    »Die anderen haben Sie verkauft?«
    »Auf Kommission, Chef. Für Cubby.« Nervös legte der Mann die Hand auf die sechs übrigen Bücher. »Die nicht. Nur auf Kommission. Fragen Sie Cubby, der wird’s Ihnen sagen.«
    Frag Cubby. Zurück durch die zerstörte dunkle Stadt, durch das Feuer und die Angst, um Cubby zu finden.
     
    Eine Stunde später ließ Tom das Benzinfeuerzeug aufflackern und legte das Gesicht an die Scheibe des kleinen Buchladens. CUMBERSON AND SONS BOOKSELLERS. Der Trödler hatte gesagt, Cubby habe Earls Bücher auf dem Ladentisch gestapelt, aber Tom sah keinen Ladentisch. Er klopfte an die Tür. Niemand kam, also warf er einen Stein durch das Fenster, wickelte das Jackett um den Unterarm und schlug das Glas weg. Plünderungen während der Verdunkelung, so hatte man ihm erzählt, waren mittlerweile zum Problem geworden. Er hatte kein Problem damit. Er trat ein und fand Earls Bücher, aber keinen Tristram Shandy. Er zerknüllte ein Blatt, legte es in einen Aschenbecher und zündete es an, damit er etwas sehen konnte. In einer Schublade fand er einen Brieföffner und schlitzte damit die Rücken von Earls Büchern auf. Platz genug für eine Mikrofotografie. Platz genug für einen verdammten Brotlaib. Und Platz für alle seine Illusionen und für sein Versagen auch. Was zum Teufel trieb er hier?
    Es war kein Earl da, hier gab es keine Bücher. Sollte er versuchen, nochmals den Hausierer aufzuspüren? Wenn er es nicht verkauft hatte – und das hatte er nicht –, was dann? Es war bei Harriet. Oder Earl hatte es versteckt. Oder Sondegger zog an einem unsichtbaren Marionettenfaden, und Tom tanzte zum Rhythmus seiner narkotisierenden Stimme.
     
    Tom konnte den Hausierer nicht mehr finden. Stattdessen

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