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Alibi für einen König

Alibi für einen König

Titel: Alibi für einen König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josephine Tey
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Heinrichs beste Daumenschraube. Und jetzt fällt mir auch ein, weshalb er einen persönlichen Groll gegen Richard hätte hegen können, lange ehe die beiden Prinzen ermordet wurden.«
    »Ja?«
    »Eduard schloß mit Ludwig XI. gegen eine hohe Geldsumme einen schmachvollen Frieden in Frankreich. Darüber war Richard sehr erbost – es war auch eine schändliche Geschichte und er wollte mit der ganzen Sache nichts zu tun haben. Er weigerte sich auch, einen großen Geldbetrag anzunehmen. Aber Morton war nicht nur für den Friedensvertrag, sondern auch für das Geld. Ja, er erhielt sogar eine Pension von Ludwig. Ein recht nettes Sümmchen. Zweitausend Kronen jährlich. Ich glaube, Richards offenherzige Äußerungen müssen ihm die Freude an dem Schandgeld tüchtig vergällt haben.«
    »Ja, da haben Sie wahrscheinlich recht.«
    »Und natürlich konnte Morton sich ausrechnen, daß er bei dem gestrengen Richard nicht so Liebkind sein würde wie bei dem leichtsinnigen Eduard. Er hätte also auch ohne den Prinzenmord sich auf die Seite der Woodvilles geschlagen.«
    »Dieser Mord –«, sagte der junge Amerikaner und schwieg dann.
    »Ja?«
    »Dieser Mord – dieser Mord an den beiden Knaben –, ist das nicht komisch, daß darüber niemand spricht?«
    »Wie meinen Sie das: daß niemand darüber spricht?«
    »In den letzten drei Tagen bin ich unzählige zeitgenössische Schriften und Briefe durchgegangen, und nicht eines dieser Schriftstücke erwähnt die Prinzen.«
    »Vielleicht hatte man Angst davor. In der damaligen Zeit machte es sich bezahlt, den Mund zu halten!«
    »Zugegeben, aber ich will Ihnen etwas noch Merkwürdigeres erzählen. Wie Sie wissen, hat Heinrich nach Bosworth gegen Richard Anklage erhoben. Ich meine, vor dem Parlament. Einziehung seiner Besitzungen, nachträgliche Ächtung. Er beschuldigt Richard der Grausamkeit und der Tyrannei. Aber den Mord erwähnt er nicht einmal.«
    »Nein!« rief Grant verblüfft.
    »Ja! Da staunen Sie, was?«
    »Sind Sie ganz sicher?«
    »Ganz sicher.«
    »Aber Heinrich hat doch sofort, als er von Bosworth nach London kam, vom Tower Besitz genommen. Wenn die Knaben nicht mehr da waren, dann ist es kaum zu glauben, daß er diese Tatsache nicht unverzüglich bekanntgab. Das wäre doch der größte Trumpf gewesen, den er in der Hand hatte.« Grant dachte eine Weile lang schweigend nach. Auf dem Fensterbrett schilpten die Spatzen. »Jetzt begreife ich gar nichts mehr«, sagte er. »Welche Erklärung könnte es dafür geben, daß Heinrich kein Kapital aus der Tatsache schlug, daß die Knaben verschwunden waren?«
    Brent brachte seine langen Beine in eine bequemere Stellung. »Dafür gibt es nur eine Erklärung«, sagte er. »Und das ist die, daß die Knaben gar nicht verschwunden waren.«
    Diesmal dauerte das Schweigen noch länger. Die beiden Männer starrten einander an.
    »Aber nein, das ist doch Unsinn!« sagte Grant. »Es muß noch irgendeine ganz einfache Erklärung geben, auf die wir nicht kommen.«
    »Und das wäre zum Beispiel?«
    »Ich weiß es nicht. Ich hatte noch keine Zeit, darüber nachzudenken.«
    »Aber ich hatte beinahe drei Tage Zeit, darüber nachzudenken, und habe immer noch keine passende Antwort gefunden. Die einzig passende Erklärung ist nämlich die, daß die Knaben lebten, als Heinrich den Tower übernahm. Die nachträgliche Staatsanklage war ein reiner Willkürakt. Richards Anhänger – die getreuen Anhänger eines gesalbten Königs, der gegen einen Eindringling kämpft – wurden damit des Hochverrats bezichtigt. Heinrich bediente sich jeder Anschuldigung, die auch nur den Schatten der Glaubwürdigkeit hatte. Und das Äußerste, was er Richard vorwerfen konnte, war Grausamkeit und Tyrannei. Die Prinzen werden nicht einmal erwähnt.«
    »Das ist phantastisch.«
    »Das ist völlig unverständlich. Aber es ist Tatsache.«
    »Das heißt also, daß es überhaupt keine entsprechende zeitgenössische Anklage gibt?«
    »Ja, so ist es.«
    »Aber – warten Sie mal. Tyrrel wurde doch für diesen Mord gehängt. Er gestand ihn sogar ein, ehe er starb. Einen Augenblick ...« Er griff nach Oliphant und suchte fieberhaft nach der Stelle. »Hier steht irgendwo ein ganz ausführlicher Bericht. Hier gibt es gar keine Unklarheiten. Sogar die Freiheitsstatue wußte darüber Bescheid.«
    »Wer?«
    »Die Schwester, der Sie im Gang begegnet sind. Tyrrel hat den Mord begangen, er wurde für schuldig befunden und gestand vor seinem Tod.«
    »War das zu dem Zeitpunkt, als Heinrich

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