Alibi für einen König
durchaus denkbar«, sagte Grant nach einer langen Pause. »Das ist die beste Erklärung, die ich bis jetzt gehört habe.«
»Wissen Sie, das braucht gar nicht offenkundig gewesen zu sein. Ja, nicht einmal bewußt. Es ist durchaus möglich, daß ihm das alles erst hochgekommen ist, als er die Chance sah, eine Krone zu erringen. Da hat er sich vielleicht gesagt – ich meine, sein Unterbewußtsein hat ihm zugeflüstert: ›Das ist meine Chance! All die Jahre des Dienens und Buckelns und immer Einen-Schritt-Zurückstehens und nie einen Dank! Jetzt werde ich mir meinen Lohn holen. Jetzt werde ich die Rechnung begleichen‹.«
Grant bemerkte, daß Carradine durch reinen Zufall Richard genauso beschrieben hatte wie Miss Payne-Ellis. Einen Schritt zurückstehend, so hatte ihn die Autorin neben der blonden, stämmigen Margret und dem blonden stämmigen George auf den Stufen von Baynard’s Castle stehen und dem Vater zum Abschied winken lassen. Einen Schritt hinter den anderen. Wie üblich.
»Aber es ist sehr interessant, was Sie da erzählen, daß Richard bis zum Augenblick des Verbrechens ein guter Kerl gewesen sein soll«, fuhr Carradine fort und schob seinen langen Zeigefinger nachdenklich unter den einen Bügel seiner Hornbrille, eine für ihn charakteristische Geste. »Das läßt ihn menschlicher erscheinen. Wissen Sie, für mein Gefühl hat Shakespeare eine Karikatur aus ihm gemacht. Bei Shakespeare ist er überhaupt kein Mensch mehr. Ich werde mit dem größten Vergnügen jede gewünschte Nachforschung für Sie anstellen, Mr. Grant. Das ist mal eine nette Abwechslung in meinem Bauern-Einerlei!«
»Das ist sehr reizend von Ihnen. Ich bin über alles, was Sie ausgraben, glücklich. Aber im Augenblick interessiere ich mich am brennendsten für einen zeitgenössischen Bericht. Die damaligen Geschehnisse müssen doch das ganze Land erschüttert haben. Und ich will über diese Geschehnisse von einem Zeitgenossen unterrichtet werden. Nicht von einem Mann, der sie nur vom Hörensagen kennt, fünf Jahre alt war, als sie sich abspielten, und überhaupt unter einem ganz anderen Regime lebte.«
»Ich werde feststellen, wer der zeitgenössische Historiker ist. Vielleicht Fabyan. Oder ist er der Historiker Heinrichs VIII.? Na, wir werden sehen. Und vielleicht möchten Sie inzwischen einen Blick in den Oliphant werfen. Soviel ich weiß, gilt er heute als die Autorität.«
Grant sagte, er wolle sich Sir Cuthbert mit Vergnügen ansehen.
»Ich gebe ihn ab, wenn ich morgen hier vorbeikomme. Ich kann ihn doch sicher an der Pforte für Sie abgeben? Und sobald ich etwas über die zeitgenössischen Schriftsteller herausbekommen habe, komme ich selbst. Paßt Ihnen das?«
Grant sagte, es passe ihm vorzüglich.
Plötzlich wurde der junge Carradine scheu und erinnerte Grant wieder an das lockige Lämmchen, das er vor Aufregung über dieses ganz neue Richard-Bild völlig vergessen hatte. Carradine verabschiedete sich hastig und verlegen und entschwand mit wallenden Mantelschößen.
Grant dachte, daß Atlanta Shergold eine gute Wahl getroffen hatte, auch wenn man von dem Carradine-Vermögen absah.
VIII
N un«, fragte Marta bei ihrem nächsten Besuch, »wie gefällt dir mein lockiges Lämmchen?«
»Es war ausgesprochen reizend von dir, ihn mir zu schicken.«
»Ich mußte ihn nicht lange suchen. Er läuft mir auf Schritt und Tritt über den Weg. Er lebt praktisch im Theater. Ich glaube, er hat unser Stück fünfhundertmal gesehen. Entweder ist er in Atlantas Garderobe oder er sitzt in der ersten Reihe. Wenn sie nur endlich heiraten würden! Dann brauchte man ihn nicht unentwegt zu sehen. Denk nur, sie leben nicht mal zusammen. Es ist das reine Idyll.« Für einen Augenblick ließ sie ihre Bühnenstimme beiseite und sagte ganz normal: »Sie sind eigentlich sehr süß, die beiden. Fast mehr wie Zwillinge als ein Liebespaar. Sie vertrauen einander rückhaltlos. Einer ist so sehr auf den anderen angewiesen, daß sie zusammen wirklich ein Ganzes sind. Und nie streiten sie. Sie zanken nicht einmal, soweit ich das feststellen kann. Wie gesagt, eine Idylle. Hat Brent dir das gebracht?«
Mit dem Zeigefinger tippte sie fragend auf den soliden, dicken Oliphant.
»Ja. Er hat es an der Pforte abgegeben.«
»Das sieht aber recht unverdaulich aus.«
»Wir wollen mal sagen, nicht sehr appetitanregend. Verdauen läßt es sich ganz leicht, wenn man es erst mal hinuntergeschluckt hat. Geschichte für den Studenten. Detailliert
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