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Alibi für einen König

Alibi für einen König

Titel: Alibi für einen König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josephine Tey
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nicht im Tower zu finden waren, als er ihn übernahm, dann wäre das die schlagendste und unwiderlegbare Anschuldigung gegen den toten Rivalen gewesen, die er sich nur wünschen konnte. Den mehr oder weniger nichtssagenden Vorwurf der Grausamkeit und Tyrannei hätte er sich dann sparen können.
    Grant löffelte sein Abendessen gedankenverloren vom Teller. Erst als die Amazone sein Tablett holte und freundlich meinte, es sei doch ein gutes Zeichen, daß er beide Frikadellen aufgegessen habe, wurde er sich bewußt, daß er eine Mahlzeit eingenommen hatte.
    Eine weitere Stunde lang hielt er den Blick auf das Lichtmuster an der Zimmerdecke gerichtet und ging das ganze Problem noch einmal gründlich durch.
    Er untersuchte es von allen Seiten nach irgendeinem winzigen Anhaltspunkt, der ihn vielleicht der Sache auf den Grund kommen ließ.
    Schließlich konzentrierte er sich jedoch auf völlig andere Dinge. Das tat er immer, sobald ein Problem nicht auf Anhieb zu lösen war. Er würde die ganze Angelegenheit noch einmal überschlafen, vielleicht fände er morgen einen Aspekt, der ihm heute entgangen war.
    Er suchte nach etwas, was ihn ablenken könnte. Dabei fiel sein Blick auf den Stoß unbeantworteter Briefe. Freundliche Genesungswünsche von allen möglichen Leuten, inklusive einiger alter Ganoven. Die wirklich liebenswerten alten Ganoven waren am Aussterben. Von Tag zu Tag wurden sie weniger. An ihre Stelle traten kesse junge Rabauken, in deren egozentrischen Seelen nicht ein Funke Menschlichkeit glühte, analphabetisch wie junge Hunde und gefühllos wie Kreissägen. Die Berufseinbrecher vom alten Schlag waren individuelle Persönlichkeiten wie alle anderen Handwerker. Und ebenso gutartig. Stille, häusliche kleine Männer, die die Feste im Kreis der Familie streng einhielten und sich um die Mandelentzündungen ihrer Kinder kümmerten. Oder schrullige Junggesellen, deren Liebe Kanarienvögel, Buchantiquariate oder komplizierte und unfehlbare Wettsysteme waren. Altmodische Menschen.
    Keiner dieser heutigen Rabauken würde einen Brief schreiben, in dem er sein Bedauern über die Unpäßlichkeit eines »Bullen« zum Ausdruck brächte. Es würde ihm nicht einmal im Traum einfallen.
    Muß man tagaus, tagein auf dem Rücken liegen, dann ist das Briefschreiben ein mühsames Geschäft. Grant hätte seine Post am liebsten ignoriert. Aber der Briefumschlag, der zuoberst lag, zeigte die Schriftzüge seiner Kusine Laura, und wenn Laura keine Antwort von ihm bekäme, würde sie sich Sorgen machen. Laura und er hatten als Kinder die Sommerferien gemeinsam verbracht, und während eines Sommers in Schottland waren sie ein ganz klein bißchen ineinander verliebt gewesen.
    Das Band, das damals geknüpft wurde, war bis heute nicht ganz abgerissen. Er mußte Laura ein paar Zeilen schreiben, um ihr zu sagen, daß er noch am Leben war.
    Er las ihren Brief noch einmal durch und lächelte. Er sah wieder die sonnenflirrenden Bäche vor sich, er hörte wieder ihr Rauschen und roch wieder den süßen, kühlen Duft der Heide. Und er vergaß für einen Augenblick, daß er ein Krankenhauspatient und daß das Leben anstrengend, langweilig und bedrückend war.

    »Pat sendet Dir die guten Wünsche in einer Form, die seinen neun Jahren angemessen ist. Er läßt Dir sagen, daß er immer nach Dir fragt und daß er eine neue Fliege erfunden hat, die er Dir schenken wird, wenn Du in Deinem Krankenurlaub zu uns zum Angeln kommst. Mit der Schule liegt er im Augenblick in heftiger Fehde, denn er hat zum erstenmal erfahren, daß die Schotten Karl I. an die Engländer verkauft haben, und findet nun, daß man einer solchen Nation eigentlich nicht angehören kann. Daher führt er, soweit ich es verstanden habe, einen Einmann-Proteststreik gegen alles Schottische durch. Er weigert sich, Geschichte zu lernen, zu singen oder sich auf eine Geographiestunde vorzubereiten, die einem so unmöglichen Land gewidmet ist. Dies teilte er mir gestern abend beim Zubettgehen mit, und er ließ mich auch wissen, daß er sich entschlossen habe, um die norwegische Staatsangehörigkeit nachzusuchen.«

    Grant nahm seinen Schreibblock vom Nachttisch und schrieb mit Bleistift:

    »Liebste Laura,
    wäre es Dir eine schmerzliche Überraschung, zu erfahren, daß die Prinzen im Tower Richard III. überlebt haben?
    Immer Dein Alan.
    P.S. Ich bin beinahe wieder gesund.«

IX
    W ussten Sie, dass in der Anklageschrift, mit der das Parlament Richard III. ächtete, der Mord an den Prinzen im

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