Alibi für einen König
Carradine begeistert. »Das werde ich mir aber sofort ansehen. Wenn man es sich überlegt, dann spricht das alles doch für ein sehr ausgeprägtes Familienleben. Bis seine Frau in die Stadt kommt, wohnt er bei seiner Mutter, und dann zieht er mit seiner Frau zusammen. Gehörte Crosby Place ihnen denn?«
»Ich glaube, Richard hatte es gemietet. Es gehörte einem der Stadträte von London. Als er in London eintraf, deutete doch nichts darauf hin, daß man Einwände gegen seine Regentschaft erheben würde oder daß Veränderungen geplant waren?«
»Keineswegs. Er wurde als Protektor bestätigt, noch ehe er überhaupt in London eintraf.«
»Woher wissen Sie das?«
»Im Patentregister wird er zweimal als Protektor aufgeführt. Lassen Sie mich nachsehen! Am 21. April, kaum zwei Wochen nach Eduards Tod, und am 2. Mai, zwei Tage vor seiner Ankunft in London.«
»Nun gut, ich gebe mich geschlagen. Und keinerlei Schwierigkeiten? Nicht die Spur von Unruhen?«
»Ich konnte nichts feststellen. Am 5. Juni gab er detaillierte Anweisungen für die Krönung des Thronfolgers am 22. Er ließ sogar an die vierzig Leute, die zu Rittern des Bath-Ordens geschlagen werden sollten, Einladungen versenden. Es war offenbar üblich, daß der König bei seiner Thronbesteigung eine Anzahl Leute in den Ritterstand erhob.«
»Am fünften«, sagte Grant nachdenklich. »Und die Krönung hatte er auf den 22. festgesetzt. Er ließ sich also wenig Spielraum, um alles wieder umzustoßen.«
»Nein. Es existiert sogar die Bestellung für die Krönungsroben des Prinzen.«
»Und was dann?«
»Weiter bin ich noch nicht gekommen«, sagte Carradine entschuldigend. »Irgend etwas muß bei einer Ratssitzung passiert sein – ich glaube, am 8. Juni. Der zeitgenössische Bericht darüber ist in den Memoiren des Philippe de Commines zu finden, und von denen habe ich bis jetzt noch kein Exemplar ergattern können. Aber man hat mir versprochen, daß ich morgen Einsicht in die Ausgabe von 1901 nehmen darf. Es scheint, daß der Bischof von Bath der Rats Versammlung am 8. Juni eine Mitteilung zu machen hatte. Kennen Sie den Bischof von Bath? Er hieß Stillington.«
»Nie gehört.«
»Er war Mitglied des All-Souls-College von Oxford und Domherr von York.«
»Das läßt vermuten, daß er ein sehr gelehrter und sehr angesehener Mann war. Haben Sie außer Commines noch andere zeitgenössische Historiker aufgetrieben?«
»Nein, bis jetzt noch keinen, der vor Richards Tod schrieb. Commines ist zwar französisch angehaucht, hat aber keine Tudor-Vorurteile. Das läßt ihn glaubwürdiger erscheinen als einen Engländer, der unter den Tudors über Richard schreibt. Übrigens, ich kann Ihnen da ein herrliches Beispiel demonstrieren für die Art und Weise, in der Geschichte gemacht wird. Ich fand es, als ich mich über die zeitgenössischen Schriftsteller informierte. Sie wissen doch, daß man Richard III. unter anderem vorwirft, er hätte den einzigen Sohn Heinrichs VI. nach der Schlacht von Tawkesbury kaltblütig getötet? Also, ob Sie es glauben oder nicht, diese Behauptung ist erstunken und erlogen. Man kann sogar feststellen, wann sie aufkam.«
»Aber Richard war doch noch ein Knabe, als man in Tawkesbury kämpfte.«
»Ich glaube, er war achtzehn. Und allen zeitgenössischen Berichten zufolge ein wackerer Kämpe. Heinrichs Sohn und Richard waren gleichaltrig. Alle zeitgenössischen Berichte, ganz gleich welcher Färbung, stimmen darin überein, daß er in der Schlacht getötet wurde. Und jetzt fängt die Sache an, spaßig zu werden.«
Carradine wühlte ungeduldig in den Aufzeichnungen.
»Teufel, wo hab’ ich es nur hingesteckt? Ah, hat ihn schon. Also Fabyan, der für Heinrich VII. schreibt, behauptet einfach, der Junge sei gefangengenommen und Eduard IV. vorgeführt worden. Eduard habe ihn mit dem Handschuh ins Gesicht geschlagen, und des Königs Diener hätten ihn daraufhin sofort getötet. Hübsch, nicht? Aber Polydore Virgil geht noch weiter. Er behauptet, George, Richard und Lord Hastings hätten den Mord eigenhändig begangen. Hall führt noch Dorset als vierten Mörder auf. Und Holinshed gab sich selbst damit nicht zufrieden. Er berichtet, daß Richard den ersten Hieb geführt habe. Wie gefällt Ihnen das?«
»Bodenlose Gemeinheit. Eine dramatische Geschichte, an der kein wahres Wort ist. Wenn es nicht über Ihre Kräfte geht, werde ich Ihnen einige Sätze aus dem geheiligten More vorlesen, um Ihnen ein weiteres Beispiel dafür zu geben, wie man
Weitere Kostenlose Bücher