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Alibi für einen König

Alibi für einen König

Titel: Alibi für einen König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josephine Tey
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wie unverständlich. Die Historiker behaupten, dieser Mord habe großen Abscheu gegen Richard ausgelöst, das ganze englische Volk habe ihn wegen dieses Verbrechens gehaßt, und deshalb habe es auch an seiner Stelle einen Fremden willkommen geheißen. Doch als man die Liste seiner Untaten dem Parlament unterbreitet, wird ausgerechnet dieses Verbrechen mit keinem Wort erwähnt. Richard war tot, und seine Anhänger waren flüchtig oder in der Verbannung, als die Anklage vorgebracht wurde. Seine Feinde konnten gegen ihn Vorbringen, was sie nur wollten. Und an diesen aufsehenerregenden Mord sollten sie nicht gedacht haben?
    Weshalb?
    Angeblich war das ganze Land wegen des Verschwindens der beiden Prinzen aus dem Häuschen. Es war der größte Skandal der letzten Jahre. Und als Richards Feinde seine angeblichen Verbrechen gegen die Moral und gegen den Staat zusammentrugen, fehlte die aufsehenerregendste Schandtat.
    Weshalb?
    Heinrich hatte in der gefährlichen Situation der ersten Regierungszeit auch den kleinsten Triumph bitter nötig. Er war weitgehend unbekannt und besaß keinerlei erbliche Rechte auf den Thron. Und doch hatte er den überwältigenden Vorteil, den ihm die Bekanntmachung von Richards Verbrechen gebracht hätte, nicht genutzt.
    Weshalb?
    Er trat die Nachfolge eines Mannes von hervorragendem Ruf an, der den Menschen von den Marschen in Wales bis zur schottischen Grenze persönlich bekannt und bis zum Verschwinden seiner Neffen überall beliebt und bewundert war. Und dennoch hatte Heinrich es unterlassen, diesen einzigen wirklich großen Trumpf, den er gegen Richard hatte, dieses unverzeihliche, abstoßende Verbrechen, auszuspielen.
    Weshalb?
    Nur die Amazone schien sich noch den Kopf zu zerbrechen. Und dies nicht aus Mitgefühl für Richard, sondern weil es ihr Gewissen bedrückte, man könne ihm vielleicht unrecht getan haben. Die Amazone war der Typ, der sich die Beine ablief, um ein vergessenes Kalenderblatt abzureißen, damit das Datum stimmte. Aber letztlich wollte sie doch lieber trösten, als sich den Kopf zerbrechen.
    »Quälen Sie sich doch nicht damit«, sagte sie beruhigend. »Sicher gibt es irgendeine ganz harmlose Erklärung, auf die Sie noch nicht gekommen sind. Sie werden schon noch drauf kommen, wenn Sie mal an etwas ganz anderes denken. Auf diese Weise fällt mir auch meist ein, wohin ich etwas verlegt habe. Wenn ich gerade den Wasserkessel aufstelle oder die sterile Gaze zähle, dann weiß ich auf einmal: Ach, ich hab’ es ja in meiner Regenmanteltasche gelassen. Ich meine, das Ding, das ich gesucht habe. Also machen Sie sich keine Sorgen.«
    Sergeant Williams befand sich gerade im tiefsten Essex, um dem Ortspolizisten feststellen zu helfen, wer der alten Ladenbesitzerin mit einem Messinggewicht den Schädel eingeschlagen und sie zwischen Schnürsenkeln und Bärendreck tot liegengelassen hatte. Vom Yard war also auch keine Hilfe zu erwarten.
    Niemand half ihm, bis der junge Carradine drei Tage später wieder erschien. Grant fand, daß er diesmal noch unbekümmerter wirkte als sonst. Ja, er machte beinah einen selbstzufriedenen Eindruck. Da er ein wohlerzogener junger Mann war, erkundigte er sich zunächst höflich nach Grants Befinden. Und nachdem er sich von der fortschreitenden Genesung überzeugt hatte, zog er aus seiner geräumigen Manteltasche ein Bündel Aufzeichnungen und strahlte seinen Kollegen durch die Hornbrille an.
    »Der geheiligte More kann mir gestohlen bleiben«, bemerkte er freundlich.
    »Wird Ihnen auch nicht mehr angeboten.«
    »Der scheidet also aus. Erledigt.«
    »Das hab’ ich mir schon gedacht. Schießen Sie los. Können Sie mit dem Tag beginnen, an dem Eduard starb?«
    »Klar. Eduard starb am 9. April 1483. In London. Das heißt, in Westminster, was damals nicht das gleiche war.
    Die Königin und die Töchter lebten dort, und ich glaube, auch der jüngste Sohn. Der Thronfolger ging in Schloß Ludlow unter Aufsicht von Lord Rivers, dem Bruder der Königin, seinen Studien nach. Die Verwandten der Königin spielen eine große Rolle. Wußten Sie das? Es wimmelt geradezu von Woodvilles.«
    »Ja, das weiß ich. Erzählen Sie weiter. Wo war Richard?«
    »An der schottischen Grenze.«
    »Was?«
    »Ja, Sie haben richtig gehört. An der schottischen Grenze. Den traf die Nachricht völlig unerwartet. Aber glauben Sie nur nicht, er hätte nach einem Pferd geschrien und wäre nach London galoppiert. O nein.«
    »Was tat er denn?«
    »Er befahl, ein Requiem in York

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