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Alibi für einen König

Alibi für einen König

Titel: Alibi für einen König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josephine Tey
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also vor dem Parlament für illegitim erklärt. Und Richard wurde gekrönt. Vor dem versammelten Adel Englands. Hielt die Königin sich noch immer in der Freistatt auf?«
    »Ja. Aber sie hatte den jüngeren Knaben zu seinem Bruder geschickt.«
    »Wann war das?«
    Carradine suchte in seinen Aufzeichnungen. »Am 16. Juni. Ich habe es hier aufgeschrieben: ›Auf Wunsch des Erzbischofs von Canterbury. Beide Knaben wohnen im Tower.‹«
    »Das geschah also, nachdem die Bombe geplatzt war. Nachdem sie für illegitim erklärt worden waren.«
    »Ja.« Er legte seine Aufzeichnungen zu einem säuberlichen Haufen zusammen und steckte sie in seine riesige Manteltasche. »Das scheint bisher alles zu sein. Aber das Beste kommt noch.« Carradine raffte seinen Mantel und schlug ihn mit einer Geste über den Knien zusammen, um die Marta wie König Richard ihn beneidet hätten. »Ich meine, dieses Gesetz, dieser Titulus Regius.«
    »Was ist damit?«
    »Nun, als Heinrich VII. den Thron bestieg, befahl er, daß dieses Gesetz ungelesen widerrufen werden sollte. Die Urkunde sollte vernichtet werden, und auch jede vorhandene Abschrift. Wer eine Abschrift einbehielt, dem drohten Gefängnis und eine Geldbuße.«
    Grant starrte ihn entgeistert an.
    »Heinrich VII.!« sagte er. »Ja, weshalb denn? Was konnte ihm dieses Gesetz denn anhaben?«
    »Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Aber ich werde es bald herausfinden. Inzwischen amüsieren Sie sich bitte hiermit, bis die Freiheitsstatue Ihren britischen Tee bringt.«
    Er reichte Grant ein Blatt Papier.
    »Was ist das?« sagte Grant und betrachtete die herausgerissene Seite eines Notizbuches.
    »Es ist jener Brief Richards über Jane Shore. Auf später.«
    Als Grant allein war, nahm er das Blatt wieder in die Hand und begann zu lesen.
    Der Kontrast zwischen den ungelenken, kindlichen Schriftzügen und den geschliffenen Sätzen Richards war ungemein pikant. Doch weder das unordentliche Gekritzel noch die würdigen Phrasen konnten das Fluidum des Briefes zerstören. Aus diesem Brief stieg ein Hauch von Humor auf, der an das Bouquette eines blumigen Weines erinnerte. In die heutige Sprache übertragen stand da etwa:

    »Zu meinem großen Erstaunen erfahre ich, daß Tom Lynom die Frau von Will Shore zu ehelichen wünscht. Er ist anscheinend von ihren Reizen betört und fest zu dieser Heirat entschlossen. Mein lieber Bischof, lassen Sie ihn, bitte, kommen und versuchen Sie, dem törichten Burschen ein wenig Vernunft einzutrichtern. Wenn Ihnen das nicht gelingt und wenn von seiten der Kirche keine Einwendungen gegen diese Heirat bestehen, so will ich mich einverstanden erklären. Aber sagen Sie ihm, er möge die Heirat bis zu meiner Rückkehr nach London verschieben. Inzwischen wird dies genügen, die Freilassung besagter Dame zu erwirken, vorausgesetzt, daß sie verspricht, sich gut zu fuhren. Und ich schlage Ihnen vor, sie einstweilen der Obhut ihres Vaters oder einer anderen Ihnen geeignet erscheinenden Person zu übergeben.«

    Dieser Brief klang jedenfalls, wie der kleine Carradine schon gesagt hatte, »eher traurig als zornig«.
    Wenn man bedachte, daß der Brief von einer Frau handelte, die Richard furchtbares Unrecht angetan hatte, dann war er wirklich von bemerkenswerter Güte und Gutmütigkeit. Und in diesem Fall konnte Richard keinerlei persönlicher Vorteil aus seiner Großmut erwachsen. Seine Toleranz, die einen Frieden zwischen York und Lancaster anstrebte, war vielleicht nicht ganz ohne Hintergedanken. Es wäre für Richard ein ungeheurer Vorteil gewesen, wenn er ein geeintes Land hätte regieren können. Aber dieser Brief an den Bischof von Lincoln war eine unwesentliche Privatangelegenheit, und die Freilassung der Jane Shore war für niemanden außer für den verliebten Tom Lynom von Bedeutung. Richards Großzügigkeit brachte ihm nichts ein. Augenscheinlich war sein Wunsch, einen Freund glücklich zu machen, größer als seine Rachsucht.
    Ja, in der Tat schien er der Rachsucht in einem Ausmaß zu ermangeln, das bei jedem richtigen Mannsbild erstaunlich gewesen wäre. Und im Falle jenes berüchtigten Monstrums Richard III. war es ganz besonders erstaunlich.

XI
    D ieser Brief beschäftigte Grant aufs angenehmste, bis die Amazone mit dem Tee kam. Er lauschte dem Konzert, das die Spatzen des 20. Jahrhunderts auf seinem Fensterbrett veranstalteten, und fand es bemerkenswert, daß er im Augenblick Sätze las, die ein Mann vor vierhundert Jahren diktiert hatte. Es wäre Richard wohl

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