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Alibi für einen König

Alibi für einen König

Titel: Alibi für einen König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josephine Tey
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die Kinder seien illegitim, als unhaltbar widerlegt wurde.
    Und da Morton – in der Handschrift des geheiligten More – für Heinrich VII. schrieb, war dieser Jemand vermutlich Heinrich VII. Jener Heinrich VII., der den Titulus Regius vernichtet und verboten hatte, daß irgend jemand eine Abschrift davon auf bewahrte.
    Da fiel Grant etwas ein, was Carradine gesagt hatte.
    Heinrich hatte die Annullierung des Gesetzes ohne vorherige Lesung verlangt.
    Es war Heinrich so wichtig, daß der Inhalt des Gesetzes niemandem mehr ins Gedächtnis zurückgerufen werden sollte, daß er die stillschweigende Vernichtung verlangte.
    Weshalb erschien dies Heinrich VII. von solcher Wichtigkeit?
    Was gingen Richards Rechte Heinrich an? Die Dinge lagen nicht so, daß er hätte sagen können: Richards Anspruch entbehrte jeder Grundlage, daher ist der meine berechtigt. Wie erbärmlich gering der Anspruch Heinrich Tudors auch gewesen sein mochte, es war ein Lancaster-Anspruch. Und die Erben Yorks hatten damit nichts zu tun.
    Weshalb aber war es dann für Heinrich von so überragender Bedeutung, daß der Inhalt des Titulus Regius in Vergessenheit geraten sollte?
    Weshalb versteckte man Eleanor Butler und wartete statt ihrer mit einer Mätresse auf, von der niemand behauptet hatte, sie sei mit dem König verheiratet gewesen?
    Dieses Problem beschäftigte Grant bis kurz vor dem Abendessen, als der Krankenhausdiener erschien.
    »Das hat Ihr junger amerikanischer Freund an der Pforte für Sie abgegeben«, sagte der Mann und überreichte ihm ein zusammengefaltetes Blatt Papier.
    »Vielen Dank«, sagte Grant. »Was wissen Sie über Richard III.?«
    »Gibt’s was zu gewinnen?«
    »Wobei?«
    »Na, in dem Quiz.«
    »Nein, Sie sollen nur meine intellektuelle Neugier befriedigen. Was wissen Sie über Richard III.?«
    »Er war der erste Massenmörder.«
    »Massenmörder? Ich dachte, es seien nur zwei Neffen gewesen?«
    »Nee, nee. In Geschichte ist’s nicht weit her bei mir, aber das weiß ich genau. Erst hat er seinen Bruder, dann seinen Vetter, dann den armen alten König und schließlich noch die kleinen Neffen umgelegt. Gründliche Arbeit.«
    Grant dachte über diese neue Version nach.
    »Wenn ich Ihnen nun sagen würde, daß er überhaupt niemanden ermordet hat?«
    »Na, da würde ich Ihnen antworten, daß jeder das Recht hat, zu glauben, was er will. Manche Menschen glauben, die Erde sei flach, andere glauben, die Welt würde im Jahr 2000 untergehen, andere sind der Meinung, sie sei erst vor fünftausend Jahren entstanden. Wenn Sie sich am Sonntag in den Hyde-Park stellen, dann können Sie noch viel ulkigere Sachen hören.«
    »Sie finden also diesen Gedanken nicht weiter erwägenswert?«
    »Ach, ich finde das durchaus erwägenswert, wenn es der Unterhaltung dienen soll. Es klingt nur nicht gerade sehr plausibel. Aber, bitte, lassen Sie sich nicht durch mich davon abhalten. Probieren Sie es ruhig an einem geeigneteren Objekt. Gehen Sie mal sonntags damit in den Hyde-Park! Wette, daß Sie eine Menge Anhänger finden werden. Vielleicht wird sogar eine Bewegung daraus.«
    Er salutierte fröhlich und ging, vor sich hinsummend, davon. Unerschütterlich und unbelehrbar.
    Gott steh mir bei, dachte Grant, mit mir ist es weit gekommen. Wenn ich mich mit dieser Geschichte noch länger befasse, dann werde ich wirklich noch auf einer Seifenkiste im Hyde-Park enden.
    Er entfaltete Carradines Botschaft und las: »Sie wollten wissen, ob die anderen Thronerben Richard überlebten. Ich meine, außer den beiden Prinzen. Ich vergaß, Sie um eine Liste zu bitten, damit ich nachsehen kann. Ich glaube, das könnte wichtig für uns sein.«
    Nun, wenn auch die Welt im allgemeinen ihm gleichgültig summend den Rücken kehrte, Jung-Amerika zumindest war auf seiner Seite.
    Er legte den geheiligten More mit seinen Familienblatt-Reportagen über hysterische Auftritte und unkontrollierbare Anschuldigungen beiseite und angelte sich das nüchterne Geschichtsbuch, um darin nach den möglichen Rivalen Richards III. in der englischen Thronfolge zu suchen.
    Als er More-Morton auf den Nachttisch legte, fiel ihm etwas ein. Jener hysterische Auftritt während der Ratssitzung im Tower, von dem More berichtet, jener Ausbruch Richards über die Hexerei, die seinen Arm hatte verkümmern lassen, war gegen Jane Shore gerichtet gewesen.
    Der Kontrast zwischen diesem Bericht, der selbst einem oberflächlichen Leser sinnlos und abstoßend erscheinen mußte, und dem gütigen, toleranten, ja

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