Alibi für einen König
phantastisch erschienen, hätte er geahnt, daß jemand diesen kurzen, intimen Brief über Shores Weib nach vierhundert Jahren lesen und sich den Kopf darüber zerbrechen sollte.
»So, und da haben wir auch einen Brief bekommen. Ist das nicht schön?« sagte die Amazone, die mit zwei Butterbroten und einem Teekuchen hereinkam.
Grant wandte seinen Blick von dem wenig verlockenden, aber nahrhaften Imbiß ab und sah, daß der Brief von Laura war.
Er öffnete ihn freudig.
»Lieber Alan«, schrieb Laura, »nichts – ich wiederhole: nichts! – kann mich, was Geschichte anbelangt, überraschen. Schottland hat zwei Märtyrerinnen gewaltige Denkmäler errichtet, weil sie um ihres Glaubens willen ersäuft wurden, und das ungeachtet der Tatsache, daß die beiden weder ersäuft wurden noch Märtyrerinnen waren. Sie wurden wegen Hochverrats verurteilt – ich glaube, daß sie Untergrundarbeit fiir eine geplante Invasion aus Holland leisteten. Auf jeden Fall höchst weltliche Vergehen. Sie wurden auf eigene Bitten hin vom Geheimen Rat begnadigt, und die Begnadigung ist bis zum heutigen Tag in den Protokollen des Geheimen Rats nachzulesen.
Das hat natürlich die schottischen Märtyrersammler in keiner Weise abgeschreckt, und die Geschichte vom traurigen Ende der beiden Damen ist samt herzzerreißendem Dialog in jedem schottischen Bücherschrank zu finden. Natürlich ist der Dialog in jeder Ausgabe völlig anders.
Die beiden dienen sogar presbyterianischen Predigern für ihre Predigten. Jedenfalls hat man mir das erzählt, denn hier kann ich nur vom Hörensagen berichten. Und die Touristen kommen und schütteln die Köpfe angesichts der bewegenden Inschriften auf den Denkmälern, und so machen alle ihren Schnitt bei dieser Sache.
Dies alles trotz der Tatsache, daß der Mann, der ursprünglich das Material sammelte – kaum vierzig Jahre nach dem angeblichen Märtyrertod und zu einer Zeit, da die presbyterianische Kirche ihre größten Triumphe feierte –, es beklagt, daß ›viele leugnen, daß dies geschehen sei‹, und nicht einen einzigen Augenzeugen auftreiben konnte.
Mit Freude habe ich vernommen, daß Deine Genesung Fortschritte macht. Wir sind alle sehr erleichtert. Wenn Du so weitermachst, dann fällt Dein Krankenurlaub in den Frühling. Im Augenblick ist der Wasserstand sehr niedrig, aber bis Du wieder gesund bist, wird er sicherlich hoch genug sein, um sowohl Dich wie die Fische zu erfreuen.
Herzliche Grüße von uns allen. Laura.
P. S. Findest Du es auch so komisch, daß die Leute immer böse werden, wenn man ihnen die wahren Tatsachen einer Legende mitteilt? Sie wollen ihre Vorstellungen gar nicht über den Haufen geworfen haben. Das macht sie, glaube ich, irgendwie unsicher und darüber ärgern sie sich. Drum wollen sie gar nicht aufgeklärt werden und weigern sich auch, über die Legenden nachzudenken. Wäre es ihnen einfach gleichgültig, dann wäre das natürlich und verständlich. Aber es sitzt viel zu tief, und darum ärgern sie sich.
Komisch, was?«
Noch eine Lügengeschichte mehr, dachte Grant. Aus wie vielen solcher Lügengeschichten wohl die britische Geschichte, wie er sie aus den Schulbüchern kannte, sich zusammensetzen mochte?
Nun, da ihm einige Tatsachen bekannt waren, wandte er sich wieder dem geheiligten More zu. Er wollte feststellen, wie die diesbezüglichen Stellen jetzt klangen.
Waren sie ihm schon im Licht des eigenen kritischen Verstandes seltsam schwatzhaft und manchmal absurd erschienen, so waren sie nun schüchtweg ungeheuerlich. Er war empört, aber auch erstaunt.
Das war Mortons Bericht. Morton, der Augenzeuge, der Akteur. Morton mußte aufs genaueste gewußt haben, was sich zwischen Anfang und Ende Juni jenes Jahres abgespielt hatte. Und dennoch wurde hier weder eine Lady Eleanor Butler noch ein Titulus Regius erwähnt. Morton zufolge sollte Eduard früher mit seiner Geliebten Elizabeth Lucy verheiratet gewesen sein. Aber Elizabeth Lucy hätte, so behauptet Morton, geleugnet, daß sie jemals mit dem König verheiratet war.
Weshalb winkte Morton mit einem Trumpf, den er dann nicht ausspielte?
Weshalb war die Rede von Elizabeth Lucy und nicht von Eleanor Butler?
Weil er wahrheitsgemäß abstreiten konnte, daß Lucy jemals mit dem König verheiratet gewesen war, aber dies im Fall der Eleanor Butler nicht tun konnte?
Daraus durfte man doch gewiß schließen, daß es für irgend jemanden äußerst wichtig war, daß Richards Behauptung,
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