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Alibi für einen König

Alibi für einen König

Titel: Alibi für einen König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josephine Tey
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Unstimmigkeiten die Fundamente seiner Theorie erschütterten.
    Da Grant Oliphant nun einmal in der Hand hielt, las er darin weiter. Er las über die triumphale Staatsreise durch England nach der Krönung. Oxford, Gloucester, Worcester, Warwick. Auf dieser ganzen Tour wurde keine unzufriedene Stimme laut. Ein einziger Chor der Danksagung und der Segnung. Ein ungeteilter Jubel darüber, daß jetzt für eine lange Lebensspanne eine gute Herrschaft anbrach. Daß Eduards plötzlicher Tod dem Land nun doch nicht eine jahrelange Fehde und einen neuen Bürgerkrieg wegen der Thronfolge gebracht hatte.
    Und dennoch sollte (laut Oliphant, der den geheiligten More nachbetete) Richard auf diesem Triumphzug, während dieser einstimmigen Akklamation, diesem uneingeschränkten Hosianna, Tyrrel nach London geschickt haben, um die Knaben, die im Tower ihre Schularbeiten machten, aus der Welt zu schaffen. Zwischen dem 7. und dem 15. Juli. In Warwick. Im Augenblick, da er sich höchster Sicherheit erfreuen durfte, im Herzen der Grafschaft York, an der Grenze von Wales, plante er die Beseitigung von zwei für illegitim erklärten Kindern.
    Das war eine höchst unglaubhafte Geschichte. Grant überlegte, ob die Historiker vielleicht ebensosehr unter Mangel an gesundem Menschenverstand litten wie jene leichtgläubigen großen Geister, denen er begegnet war.
    Er mußte unverzüglich herausfinden, weshalb dieses grausame Verbrechen, wenn Tyrrel es wirklich im Juni 1483 verübt hatte, erst zwanzig Jahre später gesühnt wurde. Wo war Tyrrel inzwischen geblieben?
    Aber Richards »glorreicher Sommer«, wie Shakespeare ihn nannte, war trügerisch. Ein Versprechen, das sich nicht erfüllte. Im Herbst blühte ihm jene Woodville-Lancaster-Invasion, die Morton angezettelt hatte, ehe er selbst das Land verließ. Der Lancaster-Beitrag zu dieser Angelegenheit machte Morton alle Ehre. Die Lancasters kamen mit einer Flotte französischer Schiffe und mit einer französischen Armee. Der Beitrag der Woodvilles jedoch bestand lediglich aus sporadischen kleinen Ansammlungen in weit verteilten Gebieten: Guildford, Salisbury, Maidstone, Newbury, Exeter und Brecon. Die Engländer wollten Henry Tudor nicht, weil sie ihn nicht kannten, und sie wollten keinen Woodville, weil sie diese nur allzu gut kannten. Sogar das englische Wetter war den Woodvilles feindlich, und Dorsets Hoffnung, seine Halbschwester als Heinrich Tudors Gemahlin auf dem englischen Thron zu sehen, ging im Hochwasser des Severn unter. Heinrich versuchte, im Westen zu landen, mußte aber feststellen, daß Devon und Cornwall empört zu den Waffen griffen. Er segelte also wieder nach Frankreich zurück, um einen besseren Zeitpunkt abzuwarten. Und Dorset gesellte sich zu der wachsenden Zahl von Woodville-Emigranten, die am französischen Hof herumlungerten.
    Mortons Plan war fürs erste von den Herbstregen und der englischen Gleichgültigkeit hinweggespült worden, und Richard konnte sich einer kurzen Zeit des Friedens erfreuen. Aber der Frühling brachte ihm einen Kummer, der durch nichts hinweggespült werden konnte: den Tod seines Sohnes.
    »Der König soll Anzeichen verzweifelten Kummers gezeigt haben. Er war kein so widernatürliches Monstrum, als daß er väterlicher Gefühle ermangelt hätte«, schrieb der Historiker.
    Er hatte anscheinend auch nicht der Gattenliebe ermangelt. Kaum ein Jahr später, als Anne starb, berichtete man von einer ähnlichen Verzweiflung.
    Und dann blieb ihm nichts anderes mehr übrig, als auf den nächsten Invasionsversuch zu warten, England im Verteidigungszustand zu halten, und dazu die Sorge, die eine solche Belastung dem Schatzamt brachte.
    Richard hatte getan, was er konnte. Sein Name war für alle Zeiten mit einem vorbildlichen Parlament verknüpft. Er hatte endlich Frieden mit Schottland geschlossen und eine Ehe zwischen seiner Nichte und dem Sohn Jakobs III. herbeigeführt. Er hatte verzweifelt versucht, Frieden mit Frankreich zu machen, doch der Erfolg war ihm versagt geblieben. Am französischen Hof weilte Heinrich Tudor, und Heinrich Tudor war Frankreichs Hätschelkind. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis Heinrich in England landete. Und diesmal mit kräftigerer Unterstützung.
    Plötzlich mußte Grant an Lady Stanley denken, an Heinrichs tatkräftige Lancaster-Mutter. Welche Rolle hatte Lady Stanley bei jener Herbst-Invasion gespielt, die Richards glorreichen Sommer beendete?
    Grant arbeitete sich durch den dicken Wälzer, bis er die Stelle

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