Alibi für einen König
er sich schon bei einer so wichtigen und bekannten Tatsache wie einer Krönung irrt, dann kann man sich auf seine Reportagen nicht verlassen. Von dem Titulus Regius hat er übrigens gewußt. Er hat den ganzen Inhalt, einschließlich Lady Eleanor, niedergeschrieben.«
»Das ist interessant. Sogar ein Mönch in Croyland hatte gehört, mit wem Eduard angeblich verheiratet gewesen war.«
»Ja. Der geheiligte More muß Elisabeth Lucy erst viel später erträumt haben.«
»Ganz zu schweigen von der bodenlosen Geschichte, Richard hätte seinen Anspruch auf Kosten der Tugend seiner Mutter begründet.«
»Was?«
»Er behauptet, auf Richards Veranlassung wäre in einer Predigt verkündet worden, Eduard und George seien außereheliche Söhne seiner Mutter, und er, Richard, sei der einzig legitime Sohn und daher der einzig rechtmäßige Erbe.«
»Der geheiligte More hätte sich auch eine überzeugendere Geschichte ausdenken können«, meinte Jung-Carradine trocken.
»Ja, zumal Richard zum angeblichen Zeitpunkt dieser Verleumdung im Haus seiner Mutter wohnte.«
»Stimmt. Das hatte ich vergessen. Ich hab’ eben doch kein richtiges Polizistengehirn.Was Sie da über Morton als Verbreiter des Gerüchts sagen, leuchtet mir sehr ein. Aber angenommen, das Gerücht taucht noch irgendwo auf?«
»Das ist natürlich möglich. Aber ich wette fünfzig zu eins, daß es das nicht tut. Ich glaube einfach nicht daran, daß das Gerücht über das Verschwinden der Knaben allgemein bekannt war.«
»Weshalb nicht?«
»Aus einem unwiderlegbaren Grund. Wenn eine allgemeine Unsicherheit geherrscht hätte, wenn es zu offenkundigen abträglichen Gerüchten oder Handlungen gekommen wäre, dann hätte Richard sofort Schritte unternommen, um sie im Keim zu ersticken. Als später das Gerücht umging, er wolle seine Nichte Elisabeth ehelichen – die älteste Schwester der Knaben –, stieß er wie ein Geier zu. Nicht nur, daß er den einzelnen Städten Briefe schickte, die das Gerücht widerlegten, und zwar in aller Deutlichkeit; er war so wütend und legte offenkundig so großen Wert auf einen makellosen Ruf, daß er die gesamte Prominenz von London in den größten Versammlungssaal, den er finden konnte, befahl und ihnen ins Gesicht sagte, was er von dieser Angelegenheit hielt.«
»Ja. Sie haben natürlich recht. Richard hätte das Gerücht, wenn es weitere Kreise gezogen hätte, öffentlich dementiert. Schließlich war es weit grauenhafter als das Gerücht, er wolle seine Nichte heiraten.«
»Allerdings. Man konnte übrigens damals einen Dispens für die Ehe mit einer Nichte erwirken. Vermutlich kann man es heute noch. Aber das fällt nicht in mein Ressort. Sicher ist jedenfalls, daß Richard mit noch viel größerem Nachdruck einen vorhandenen Mordgerücht entgegengetreten wäre, wenn er schon das Ehegerücht so scharf dementierte. Wir müssen also folgern, daß es hinsichtlich des Verschwindens der kleinen Prinzen oder sonstiger dunkler Machenschaften, die sie zum Gegenstand hatten, keinerlei weitverbreitete Gerüchte gegeben hat.«
»Nur das bißchen, das von den Fens nach Frankreich durchsickern konnte.«
»Nur dieses spärliche Geraune. Nirgends zeigt sich irgendwelche Besorgnis hinsichtlich der Knaben. Ich meine: Bei einer polizeilichen Ermittlung untersucht man, ob die Verdächtigen sich in irgendeiner Weise abnormal verhalten. Weshalb blieb X, der jeden Donnerstag abend ins Kino geht, ausgerechnet an diesem einen Abend zu Hause? Weshalb nahm Y eine Rückfahrkarte, um sie dann nicht zu benutzen? Solche Dinge meine ich. Aber in der kurzen Zeitspanne zwischen Richards Thronbesteigung und seinem Tod benehmen sich alle völlig normal. Die Mutter der Knaben verläßt die Freistatt und macht ihren Frieden mit Richard. Die Mädchen nehmen wieder am Hofleben teil. Die Knaben widmen sich vermutlich wieder den Studien, die durch den Tod ihres Vaters unterbrochen worden waren. Ihre jungen Vettern haben einen Sitz im Rat und erscheinen der Stadt York immerhin gewichtig genug, daß man mit ihnen korrespondiert. Das ergibt ein völlig normales, friedliches Bild, in dem jedermann seiner üblichen Beschäftigung nachgeht. Nichts deutet darauf hin, daß in der Familie gerade ein aufsehenerregender und überflüssiger Mord verübt wurde.«
»Es sieht so aus, als könnte ich mein Buch doch noch schreiben, Mr. Grant.«
»Sie werden es ganz gewiß schreiben. Sie müssen nicht nur Richard rehabilitieren, Sie müssen auch Elizabeth Woodville von der
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