Alibi für einen König
Unterstellung reinwaschen, sie hätte den Mord an ihren Söhnen für siebenhundert Taler im Jahr und etlichen Flitter hingenommen.«
»Ich kann aber doch nicht das Buch schreiben, wenn der Ausgang in der Schwebe bleibt. Ich muß zumindest eine Theorie aufstellen, was mit den Knaben geschehen sein könnte.«
»Das werden Sie auch tun.«
Carradines sanfter Blick wandte sich von den Lämmerwölkchen über der Themse fragend Grant zu.
»Sind Sie so fest davon überzeugt?« fragte er. »Sie haben plötzlich so einen satten und zufriedenen Ausdruck im Gesicht!«
»Nun ja, ich bin in all den öden Tagen des Wartens auf Ihr Wiedererscheinen nach streng polizeilichen Regeln vorgegangen.«
»Polizeilichen Regeln?«
»Ja. ›Wer hat den Nutzen davon?‹ und so weiter, und so weiter. Wir haben entdeckt, daß Richard nicht den geringsten Vorteil gehabt hätte, wenn die Knaben verschwunden wären. Also sehen wir uns um, wer in diesem Fall profitieren konnte. Und hier kommen wir zum Titulus Regius.«
»Was hat der Titulus Regius mit dem Mord zu tun?«
»Heinrich VII. heiratete die älteste Schwester der Knaben, Elisabeth.«
»Ja.«
»Um die Yorkisten mit dem Gedanken seiner Thronbesteigung zu versöhnen.«
»Ja.«
»Durch die Widerrufung des Titulus Regius legitimierte er seine Gemahlin.«
»Klar.«
»Indem er aber die Kinder legitimierte, machte er die beiden Prinzen automatisch zu Thronerben vor ihrer Schwester. Das heißt also: Durch die Widerrufung des Titulus Regius machte er den älteren der beiden Knaben zum rechtmäßigen König von England.«
Carradine schnalzte mit der Zunge. Die Augen hinter der Hornbrille leuchteten vor Vergnügen.
»Ich schlage also vor«, sagte Grant, »daß wir die Untersuchung in dieser Richtung weiterführen.«
»Einverstanden. Was möchten Sie wissen?«
»Ich möchte noch eine ganze Menge über Tyrrels Geständnis erfahren. Aber zuerst und vor allem hätte ich gern gewußt, wie die Betroffenen sich verhielten. Was geschah mit ihnen? Was andere über sie berichteten, interessiert uns nicht. Wir gehen wieder so vor, wie wir es im Fall von Richards Thronfolge nach Eduards unerwartetem Tod getan haben.«
»Schön. Was möchten Sie also wissen?«
»Ich möchte wissen, was aus den York-Erben geworden ist, die Richard so lebendig, wohlauf und begütert überlebten. Und zwar will ich das von jedem einzelnen wissen. Können Sie das in Erfahrung bringen?«
»Klar. Das wird nicht schwerfallen.«
»Und ich könnte auch noch mehr Informationen über Tyrrel gebrauchen. Ich meine, über den Mann selbst. Wer er war und was er getan hat.«
»Wird besorgt.«
Carradine erhob sich mit solcher Entschlossenheit, daß Grant einen Augenblick glaubte, er werde sich tatsächlich den Mantel zuknöpfen. »Mr. Grant, ich bin Ihnen so dankbar für all den – den –«
»Den Spaß?«
»Wenn Sie wieder wohlauf sind, dann – dann werde ich Sie am Arm in den Tower führen.«
»Lassen Sie uns lieber eine Bootsfahrt nach Greenwich machen. Wir Inselbewohner haben nämlich eine Leidenschaft für die Seefahrt.«
»Wie lange müssen Sie wohl noch im Bett bleiben?«
»Wahrscheinlich bin ich schon auf, bis Sie mit Nachrichten über die Erben und Tyrrel zurückkommen.«
XIV
A ls Carradine das nächste Mal kam, war Grant zwar noch nicht aufgestanden, saß jedoch aufrecht im Bett.
»Sie können sich gar nicht vorstellen«, sagte er zu Brent, »wie faszinierend die gegenüberliegende Wand nach der Zimmerdecke ist. Und wie klein und komisch die Welt aussieht, wenn man sie im Sitzen betrachtet.«
Carradines unverhohlene Freude über den Fortschritt seiner Genesung rührte ihn, und es dauerte einige Zeit, ehe die beiden wieder zu ihrem eigentlichen Thema kamen. Grant mußte den Anstoß geben: »Nun, wie ist es den York-Erben unter Heinrich VII. ergangen?«
»Ach ja«, sagte der Jüngling, zog das übliche Bündel Aufzeichnungen aus der Tasche, schob mit der rechten Fußspitze einen Stuhl heran und setzte sich. »Wo soll ich anfangen?«
»Zunächst einmal mit Elisabeth. Über sie wissen wir Bescheid. Er heiratete sie, und sie war Königin von England bis zu ihrem Tod. Dann hielt er um die Hand der wahnsinnigen Johanna von Spanien an.«
»Ja. Elisabeth wurde im Frühjahr 1486 – genau gesagt, im Januar, fünf Monate nach Bosworth – mit Heinrich vermählt und starb im Frühjahr 1503.«
»Siebzehn Jahre. Arme Elisabeth. An Heinrichs Seite müssen sie ihr wie siebzig Jahre vorgekommen sein. Er war das, was
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