Alice@Hollywood
vor der untergehenden Sonne, steht ein Tramper. Regungslos, als hätte ihn dort jemand eingepflanzt. Eine unwirkliche Erscheinung. In seinem Kopf stecken Antennen, an der Seite hängt eine längliche Tasche herunter. Das starke Gegenlicht wirft seinen langen Schatten auf die Straße.
»Oh, Scheiße«, sage ich, »der Erste, den wir nach dem Weg fragen können. Und dann ist es ein Alien .«
»Oder ein Highway-Killer«, setzt Nina noch einen drauf.
Die düstere Gegend und etliche Stories über solche Typen in unseren heimischen Krawallzeitungen lassen gar keinen anderen Schluss zu.
»Die Knöpfe runter«, fordert uns Ruth auf.
Synchron verrammeln Nina und ich die Türen. Ich gebe ein bisschen Gas, um zu verhindern, dass der Kerl auf den Wagen springen kann. Als wir an ihm vorbeifahren, sieht er uns nicht einmal an. Er dreht sich auch nicht um, sondern bleibt angewurzelt stehen. Allerdings hat er keine Antennen im Kopf. Er trägt eine blödsinnige Mütze mit Geweih-ähnlichem Aufsatz, eine schwarze Charlie-Chaplin-Hose und ein buntes Hemd. Eindeutig durchgeknallt. Was treibt der hier? Abgesehen davon, dass er uns beweist, dass man sich noch dämlicher kleiden kann als im Kölner Karneval. Ich bremse und halte den Wagen an.
»Was soll das ?« Nina sieht sich hektisch um.
»Wir nehmen ihn mit«, bestimme ich.
»Bist du verrückt? Der bringt uns um .«
»Blödsinn. Woran liegt das eigentlich, dass man von Fremden immer das Übelste annimmt ?«
»Daran«, führt Nina aus, »dass zahllose Unschuldige massakriert werden, weil sie solche Typen ins Auto lassen .«
»Quatsch. Vielleicht ist er ja ganz nett und will nur an unsere Handtaschen .«
Ich klinge wohl nicht überzeugend, wenn ich Ruths Gesicht so betrachte. Es fängt schon wieder an, sich zu verfärben. Ich muss zugeben, der Form seiner Tasche nach kann der Kerl eigentlich nur eine Kettensäge transportieren. Mister Rubinello kommt mir wieder in den Sinn. Und der Polizist. Wir sollten anfangen, die Mentalität unserer Gastgeber anzunehmen. Das kann doch nicht so schwer sein. Freundlich und aufgeschlossen. Wir können eine gute Tat vollbringen. Oder wahlweise in kleine Stücke gesägt werden. Ich setze den Wagen zurück.
Ruth wimmert: »Überlegst du dir das bitte nochmal. Ich meine, er wird hier hinten bei mir sitzen .«
»Na, dann hast du's als Erste hinter dir. Positiv denken, Süße .«
Auf die Frage, wo es denn hingehen soll, raunzt der Typ nur: »Ersma weg von hier .«
Er lässt sich neben Ruth auf die Rückbank fallen. Etwas klickert metallisch in seiner Tasche. Liebe Güte, hab ich einen Fehler gemacht? Konversation ist die einzige Möglichkeit, für etwas Entspannung zu sorgen.
»Wir haben einen Mordshunger«, sage ich in den Rückspiegel. »Weißt du, wo wir was zu essen bekommen ?«
Der Typ nickt nur. Sein Bedürfnis nach Entspannung ist deutlich geringer als unseres. Er kramt einen Zettel aus der Hosentasche und dirigiert mich mit Brummtönen wieder tiefer in dieses unsägliche Labyrinth. Die Dunkelheit kraucht heran, die Hoffnung auf ein gutes Ende der Geschichte verschwindet mit der Sonne hinter dem Horizont.
Aus dem einsilbigen Gebrummel des Typen baut sich nur ein vages Bild auf, wen wir da ins Auto geladen haben. Die Antworten auf meine drei Fragen, wie er heißt, ob er aus der Gegend ist und ob er den Weg nach Chicago kennt, lauten: Sacks, hm, hm. Und noch ein drangesetztes »Hm« als Hinweis, dass ich in einen düsteren Feldweg abbiegen soll. Ich schalte die Scheinwerfer ein. Vor uns zwischen den Bäumen und Büschen flackert ein einzelnes Licht, auf das wir zusteuern. Eine sehr spärliche Beleuchtung für ein Restaurant. Die Stille im Wagen wird unerträglich. Ich spüre Ruths Hand, die sich Hilfe suchend zu mir vortastet. Nina durchforstet unauffällig das Handschuhfach auf der Suche nach etwas, das zur Selbstverteidigung taugt. Der Gegenstand, der einer wirkungsvollen Waffe am nächsten kommt, ist ein Kugelschreiber. Der Wagen knirscht über einen Kiesweg. Die Scheinwerfer erfassen eine große Scheune. Sacks' Stimme lässt uns hochschrecken wie ein Pistolenschuss.
»Da sin 'n paar Freunde von mir.«
Großartig! Mit ihm allein wären wir vielleicht noch fertig geworden. Wenn sich eine von uns aufopferungsvoll in die Kettensäge geworfen hätte, um den anderen die Flucht zu ermöglichen. Nina wirft mir einen zweideutigen Blick zu. Eine Mischung aus Wut über meine Blödheit und der Erkenntnis, dass wir hier unser Leben beenden
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