Alice@Hollywood
nächsten Moment bei einem Kerl, um ihn nach mehr Munition zu fragen.
»Alice! Alice!«
Jemand schreit meinen Namen, während ich , weggetreten aus dieser Welt, Patronen in die Trommel stopfe.
»Alice!« Ruth packt mich an der Schulter und weicht entsetzt zurück. Irgendwas in meinen Augen muss sie erschreckt haben. Ich will die Waffe wieder heben, werde aber von zwei kräftigen Ohrfeigen in die Realität geholt.
»Hör auf mit dem Scheiß«, schreit Ruth. »Wir müssen abhauen !«
Sie deutet auf einen Punkt jenseits des Feldes. Von dort nähert sich ein blau-rotes Blinklicht.
»Bullen !« , schreit jemand.
Die anderen haben es auch bemerkt. Auf einen Schlag ist Ruhe. Durch die plötzliche Stille dringt das Jaulen der Sirene. Die anderen sind eingespielt - nach weniger als dreißig Sekunden stehen Nina, Ruth und ich allein in dem sich langsam verziehenden Pulverdampf. Ich habe noch den heißen Colt in der Hand.
»Mein Gott«, murmele ich und fange mich nur langsam, »War das geil .«
»Komm schon .« Nina zieht mich vom Ort des Spektakels. Rings um die Scheune springen Motoren an. Die haben ihre Autos versteckt. Nur unser Chevy wartet vor der Scheune auf dem Präsentierteller. Wir rennen los. Malcolm sitzt am Steuer unseres Wagens.
»Wo bleibt ihr denn? Los, los .«
Wir springen in die Kiste, und Malcolm prescht los, ohne die Scheinwerfer einzuschalten. Die Sirene des Streifenwagens kommt näher. Ob das unser netter Kürbis-Cop ist? Im Stockdustern jagt Malcolm den Wagen auf einer schmalen Sandpiste durch ein Waldstück. Nina und Ruth klammern sich an ihre Sitze und fangen nicht zum ersten Mal heute das Beten an. Ich habe keine Angst. Wir haben einen indianischen Führer. Trotz des Geschaukels komme ich allmählich zu mir. Was war da los? War da doch mehr in der Pferdemilch als Salbei und Fenchel? Eine gehörige Portion kollektiver Wahnsinn vermutlich. Ich sehe durch Rückfenster. Vom Kürbis-Cop keine Spur. Wir schießen unversehens aus dem Waldstück. Funkensprühend kracht der Chevy mit einigen Karosserieteilen auf Asphalt. Malcolm reißt den Wagen herum, sodass wir alle drei die Seitenfenster küssen. Mit Vollgas und immer noch ohne Licht rasen wir durch die Nacht. Weiter entfernt sehe ich hinter Bäumen Autoscheinwerfer aufblitzen.
»Wenn sie das Licht einschalten, haben sie's geschafft«, sagt Malcolm nicht ohne Stolz.
»Wir also offensichtlich noch nicht«, stellt Ruth fest. Sie ist froh, dass wir wenigstens wieder auf einer befestigten Straße unterwegs sind.
»Weißt du, wie wir nach Chicago kommen ?« , frage ich ihn.
»Und zwar lebend !« , ergänzt Nina.
»Klar. Ist ganz einfach«, lautet seine lapidare Antwort.
Stimmt. Wir brauchten nur Hunderte Meilen nutzlos in einem Mietwagen durch das Tal der Angst zu gurken, mehrere Stunden mit Verrückten verbringen und auf der Flucht vor der Polizei unser Leben zu riskieren. So einfach kommt man nach Chicago. Malcolm stoppt den Wagen auf einer Anhöhe. In einigen Meilen Entfernung sehen wir, wie der nächtliche Verkehr auf vier Spuren gemächlich dahinfließt. Ein glitzernder Strom Glühwürmchen.
»Die Straße hier geradeaus und am Highway rechts. Gar nicht zu verfehlen. Und ab da sind's nur noch 500 Meilen .«
Malcolm steigt aus. Ich gebe ihm den Colt. Er wird wissen, wem das Ding gehört, das mich für eine knappe Minute aus der Alltäglichkeit gerissen hat. Eine Frage kann ich nicht zurückhalten.
»Bist du so 'ne Art Zeremonienmeister für die Leute?«
»Nö«, sagt er. »Mir macht's einfach Spaß, ab und zu rumzuballern. Dir doch auch, oder?«
Er zwinkert mir zu und verschwindet abseits der Straße in die Büsche. Von dort hören wir noch einmal seine Stimme: »Ihr könnt die Scheinwerfer wieder einschalten .«
Ich will mich hinter das Steuer klemmen, aber Nina hält mich zurück.
»Kommt gar nicht in Frage. Du bist ja vollgepumpt mit Drogen .«
Ich war in meinem Leben noch nie so klar im Kopf. Als ich Malcolm die Waffe gegeben habe, bekam ich auch mein altes Leben, meine Hemmungen und Ängste wieder zurück. Nein, ich ballere nicht gerne ab und zu in der Gegend herum. Im Gegenteil. Ein Land, in dem man fast nirgendwo mehr rauchen, aber überall volltrunken mit einer Kanone rumspazieren kann, hat nicht alle Latten am Zaun. Diese Sache hat mir nur gezeigt, dass etwas Unzähmbares in meinem Innern lauert, etwas, das viel mehr mit Leben zu tun hat als das meiste, was ich sonst so treibe. Aber es muss andere Möglichkeiten geben,
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