Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alice@Hollywood

Alice@Hollywood

Titel: Alice@Hollywood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Bunzel , Andreas Gaw
Vom Netzwerk:
unseren Plan, den richtigen Weg zu finden. Es will partout keine menschliche Behausung auftauchen. In einem der dicht besiedelten Gebiete der USA müssen wir einen kleinen Zipfel Wildnis betreten haben, aus dem es kein Entkommen gibt, weil alle Straßen kreisförmig angelegt sind. Ein kleiner Witz für Ausländer. Wir kurven eine Stunde durch ein System unbeschilderter Nebenstraßen, und an einer Stelle, die wir todsicher vor fünf Minuten schon passiert haben, steht plötzlich ein Streifenwagen. Der Anblick von Ordnungshütern ist direkt verbunden mit der Regung des schlechten Gewissens. Unwillkürlich gehe ich vom Gas, obwohl ich die ganze Zeit schon unterwegs bin wie eine Schleichkatze.
    »Fahr einfach dran vorbei«, zischt Nina. Dem Ton ihrer Stimme nach hat sie eine Leiche im Kofferraum versteckt. Die Tür des Streifenwagens öffnet sich, und eine ballonartige Gestalt in Uniform kämpft sich ins Freie. Wenn man ist, was man isst, ernährt sich der Kerl da ausschließlich von Kürbissen. Er hebt die Hand. Einfach dran vorbeifahren ist nicht.
    »Mein Gott, jetzt kommen wir deinetwegen alle in den Knast, Alice«, jammert Ruth. »Die suchen uns schon wegen deiner Amokfahrt !«
    »Das war Notwehr«, versuche ich zu beruhigen. »Außerdem kann der Kerl da das gar nicht wissen .«
    Ich stoppe, öffne das Seitenfenster und begrüße den Polizisten übertrieben fröhlich. Das raubt ihm wohl die letzten Zweifel an unserer Unschuld. Egal, um welches Verbrechen es sich handeln mag. Er will die Papiere sehen.
    »Wo kommen Sie her ?« , fragt er tonlos.
    »New York«, sage ich.
    »Chicago«, sagt Nina.
    »Memphis«, sagt Ruth.
    »Alle mit diesem Wagen ?« , will Mr. Kürbis wissen.
    »New York«, sage ich nochmal bestimmt und bedeute den beiden anderen, ruhig zu sein. »Wir wollen nach Chicago. Und vielleicht auch nach Memphis.«
    Der Polizist lässt sich Zeit, die Papiere zu studieren, als müsse er jeden einzelnen Buchstaben einer genauen Prüfung unter-, ziehen. Plötzlich hellt sich seine Miene auf.
    »Sie sind aus Deutschland ?« , fragt er und wirkt ehrlich interessiert.
    Wir nicken beflissen.
    »Großartig«, behauptet er. Seine Begeisterung für unsere Herkunft klingt etwas gekünstelt. Aber er findet auch die Tatsache, dass wir in seinem Land Urlaub machen, großartig, und noch großartiger, dass wir uns einen Mietwagen genommen haben. Bis mir klar wird, dass wir hier einen zweiten Rubinello vor uns haben. Das ist einfach der Unterschied. Die Amerikaner sind das Gegenteil der Deutschen: freundlich und aufgeschlossen. Und sie geben einem das Gefühl, was immer man auch gerade anstellt, sei das Beste, was man in seinem Leben überhaupt anstellen kann. Und sei es der Wunsch, den Dritten Weltkrieg anzuzetteln. Wahrscheinlich würde Mr. Kürbis auch dazu nichts weiter sagen als: »Großartig. Machen Sie weiter so .«
    Der Polizist händigt uns die Papiere wieder aus und wünscht uns noch einen tollen Aufenthalt. Das finden wir so großartig, dass wir vergessen, nach dem Weg zu fragen. Macht aber nichts: Das Labyrinth, in dem wir uns befinden, führt uns ja nach spätestens fünf Minuten wieder zu unserem Kürbis-Cop. Das Labyrinth, in dem wir uns befinden, tut nichts dergleichen. Wir sehen den freundlichen Mann nie wieder. Laut Tacho haben wir fast 200 Meilen hinter uns, die Luftlinie der zurückgelegten Strecke schätzen wir auf ein Zehntel. Unsere Stimmung sinkt, und die Sonne macht's ihr nach. Wir haben Hunger, Durst und Sehnsucht nach der Zivilisation. Zu Beginn der Fahrt hatte Nina scherzhaft eine Wette angeboten, was zuerst auftaucht: Steve oder Ruths Gepäck. Jetzt kommen noch Drinks, eine warme Mahlzeit, ein Bett und warme Lichter dazu.
    In Gedanken versunken lenke ich den Wagen eine Straße entlang, die wenigstens über den Luxus einer Mittellinie verfügt. Wieso hat Steve nicht Bescheid gesagt? Dass ich mal »unverbindlich« bei ihm in New York vorbeischaue, konnte er natürlich nicht wissen. Aber er hat mir nicht mal seine neue Adresse mitgeteilt. Er muss doch wissen, dass all meine Briefe fortan rettungslos im Müll seiner Ex-Mitbewohner versinken würden, Ist ihm etwas passiert? Bilde ich mir zu viel auf unsere Beziehung ein, die ja die letzten Monate nur aus gefühlsgetränktem Briefpapier bestand? Oder ist er einfach nur ein Arschloch und das war seine Art, sich sang- und klanglos zu verabschieden?
    Nina ruft mich unsanft aus meinen Gedanken.
    »Da vorn!«
    Da vorn, am Straßenrand, als schwarze Silhouette

Weitere Kostenlose Bücher