Alice@Hollywood
Vollbart, der erstaunlich flott auf dem Parkett unterwegs ist. Ein Tanzbär mit Primaballerinaschritten. Wie stellen meine beiden Freundinnen das an? Mit der Geschwindigkeit eines Lidschlages sind sie in den absurden Tumult integriert. Und ich? Kaum der einen Gefahr entronnen, quatsch ich mich in die nächste. Bevor ich mich tiefer in die Fettnapftheorie begeben kann, besetzt der Cheyenne den Strohballen zu meiner Linken.
»Du bist aus Deutschland«, konstatiert er mit einem Höchstmaß an Mitgefühl.
Das ist hier offenbar schnell rumgegangen. Der Indianer lächelt verständnisvoll. Ich glaube, er will damit sagen, dass Ausländer generell zu blöd sind, kulturelle Feinheiten zu erkennen, womit mein Unverständnis perfekt entschuldigt ist. Ich sage nichts dazu, schon allein, um meine Haare zu behalten. Der Cheyenne, der ganz un-Cheyenne-mäßig Malcolm heißt, reicht mir einen Becher mit einer milchigen Flüssigkeit. Seinem weihevollen Gesichtsausdruck entnehme ich, dass dies eine Art modernes Friedenspfeifenangebot ist. Eines, das man nicht ausschlagen kann, wenn man nicht von etwas anderem durchbohrt werden will als seinen schwarzen Augen. Mit der Sicherheit einer Fledermaus im Dunkeln spürt er sofort die haarfeine Nuance Argwohn in meinen Augenwinkeln auf.
»Ist kein Alkohol drin«, beruhigt er mich, »es ist etwas Traditionelles .« Genau das ist der Punkt. Er interpretiert meine Zurückhaltung falsch. Ich bin nämlich dabei, schon in die nächste Klischeefalle zu tappen. Indianer plus rituelle Drinks gleich halluzinogene Drogen. Ich habe keinerlei Erfahrung mit solchen Sachen, und dies ist der denkbar ungünstigste Zeitpunkt, damit anzufangen. Wenn es überhaupt einen günstigen für so was gibt. Nur kann ich diesen Kelch wegen meines losen Mundwerks nicht an mir vorübergehen lassen. Ich nippe zaghaft. Es schmeckt bitter. Ganz klar Meskalin, vermute ich. Malcolms starrer Blick zeigt mir, dass der Abbitte noch nicht Genüge getan ist. Also schließe ich die Augen, nehme einen kräftigen Zug und erwarte, sekündlich in ein knallbunt wirbelndes Universum gezogen zu werden, begleitet von der jaulenden Gitarre von Jimi Hendrix. Nichts geschieht. Aus den Lautsprechern schallt immer noch was von »Pepe de luxe«, und Raum und Zeit bleiben an Ort und Stelle.
»Was ist das ?« , frage ich so neutral wie möglich.
»Salbei, Fenchel und Pferdemilch. Zur inneren Reinigung.«
Malcolm nimmt diese Party ernster als der Rest, der sich mit allem Möglichen in einen kapitalen Rausch katapultiert. Vielleicht gehört das Zermatschen von Kürbissen zur Cheyenne-Tradition. Ich werde den Teufel tun und fragen. Mein Bedarf, Ureinwohner zu verprellen, ist gedeckt. Malcolm trinkt den Rest der Tinktur und steht auf.
»Es geht gleich los«, sagt er, »macht euch bereit. Ihr müsst vorbereitet sein .«
Die Musik endet abrupt. Die Bande Kürbiskarnevalisten stellt sich im Kreis auf, Malcolm gesellt sich zu ihnen, und gemeinsam fangen sie an, in unterschiedlichen Tonhöhen zu summen. Ruth und Nina stehen abseits und sind ebenso überrascht wie ich. Was soll das heißen? Ihr müsst vorbereitet sein? Worauf? Sind wir doch noch als Opfer .dieses irren Festes auserkoren? Das Summen wird lauter, kehliger, gipfelt in einem archaischen Schrei und endet mit dem Schlachtruf, den wir schon am Anfang gehört haben: »Kill the pumpkin. Kill the pumpkin .«
Grölend und jauchzend schnappt sich jeder eine Knarre, und die Horde stürmt durch eine Hintertür ins Freie. Ohne Übergang wird aus allen Rohren geballert. Wir drei treten vorsichtig in die Nacht. Fünfundzwanzig Mündungsfeuer erhellen stroboskopartig fanatische Gesichter. Das Lichtgewitter und der ohrenbetäubende Krach paralysieren mich in Sekunden, effektvoller, als jeder traditionelle Meskalindrink vermocht hätte. Jemand drückt mir einen fetten Navy-Colt in die Hand. Ich ziele ins Dunkle, Richtung Kürbisfeld, aus dem das dumpfe Platzen der großen Früchte zu hören ist. Der erste Schuss ist eine grandiose Befreiung. Mit der Kugel flitzen meine Beherrschung, meine Enttäuschung über Steve, meine Angst in die Nacht. Als flössen all meine Hemmungen, alles, was mich am wilden, spontanen Leben hindert, durch meine Hand in den Lauf der Waffe. Ich höre mich schreien und pumpe die ganze Kammer leer. Ich habe noch nie im Leben etwas so Gewalttätiges in der Hand gehabt und wundere mich, wie leicht es mir fällt. Das bin nicht ich, versuche ich mich zu bremsen. Und stehe im
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