Alice@Hollywood
selbst als wir einen Wagen ablehnen, weil die Schattierung des Sitzpolsters nicht zu meinem Teint passt. Seine Opferbereitschaft trägt Jesusmäßige Züge. Unter keinen Umständen will er den Verdacht aufkommen lassen, uns hier mit dem Erstbesten abzuspeisen. Nach zwei Stunden ist immer noch ein matter Rest seines Lächelns übrig. Erst dann weist er uns behutsam darauf hin, dass die auf Pilgerstrom-Stärke angewachsene Menschenmenge vor seinem Office nicht auf einen Bus wartet, sondern darauf, von ihm bedient zu werden. Wenn irgend möglich, noch vor der nächsten Präsidentenwahl. Nur deshalb, weil möglicherweise, zu Unrecht selbstverständlich, wie er versichert, leichte Aggressionen gegen uns aufkommen könnten, wage er es, den unverschämten Vorschlag zu unterbreiten, uns sein fachmännisches Urteil angedeihen zu lassen. Wir sind begeistert. So geht man mit Kunden um! Und so bekommen wir im Handumdrehen ein todschickes Chevrolet Coupe mit aparter Gold-Beige-Lackierung, das alle Bedürfnisse befriedigt. Das Platzangebot kommt Ninas Van nahe, in einem Coupe ist mediterrane Schnittigkeit quasi von Haus aus drin, und Ruth kriegt was, das fährt. Man muss halt Kompromisse schließen können. Mister Rubinello erledigt die restlichen Formalitäten mit einer Begeisterung, die sogar sein Lächeln wieder grade rückt. Ich bin nicht ganz sicher, aber ich meine, seine Schläfen seien nicht ganz so grau gewesen, als wir hier ankamen. Höflich zu sein ist ein hartes Geschäft. Aber es lohnt sich. Wir, drei Frauen, die sich nur ein Auto leihen wollten, aber etwas gelernt haben über das Leben, sind das beste Beispiel: Wir tragen die Saat von Mister Rubinellos gütigem Wesen in die Welt. Bestens gelaunt rauschen wir vom Parkplatz, vorbei an einer mürrischen Menge, aus der Lynchrufe laut werden. Was ist mit den Leuten los? Da haben sie den besten Kundenservice der Welt und sind immer noch nicht zufrieden.
New York mit dem Auto zu verlassen ist total einfach. Man fährt dahin, wo's hell ist. Um nach einer Weile erstaunt festzustellen, dass es jenseits der hochgebirgsartigen Downtown-Bezirke tatsächlich so was wie Himmel gibt. Mehr als die waschlappengroßen Stückchen, die man in Manhattan zu sehen kriegt. Und man kann die Sonne sehen, die echte, nicht deren Abbild in verspiegelten Wolkenkratzerfassaden. Dafür nehmen die Straßen beängstigend an Breite zu. Nina, nach eigenem Bekunden weitbeste Navigatorin, lotst mich durch den Verkehr, der die Überschaubarkeit einer Ameisenstraße hat. Zackig kommen die Kommandos vom Beifahrersitz: »Links. Rechts. Nicht hier, da hinten. Über die Brücke. In der Mitte halten. Da rein!«
Dabei würdigt sie den Packen Straßenkarten auf der Frontablage keines Blickes. Der rutscht nur, meinen abrupten Lenkbewegungen folgend, stoisch von rechts nach links und zurück. Nina sieht nur ab und zu hoch, sonst konzentriert sie sich auf das Handy, das sie mit flinken Fingern bedient. Sie muss ein Navigationssystem haben. In einer langen Kurve kann ich einen flüchtigen Blick auf das Display werfen. Sie spielt »Snake«. Die Hälfte ihrer Befehle gelten der Schlange, die sich durch ein Labyrinth windet.
»Und jetzt? Und jetzt ?« ', frage ich panisch.
Wir befinden uns auf einer achtspurigen Ausfallstraße, die sich nur wenige hundert Meter voraus in ebenso viel eleganten Windungen in ebenso viele Richtungen aufteilt.
»Geradeaus«, behauptet Nina.
»Wer? Ich oder die Schlange?«
»Beide!«
Die Schlange dotzt mit einem lächerlichen »Dit-didel-dii« gegen eine Labyrinthwand, und ich versuche, durch energisches Kurbeln zu verhindern, dass unser Chevy von zwei LKW-Ungetümen zermalmt wird, die mich links und rechts überholen. Dabei verdecken sie die Richtungshinweise. Geradeaus kann für mich aber sowieso erst mal nur bedeuten, nicht unter die Räder zu kommen. Der Track zur Linken will rechts rüber, was er nur kann, wenn er mich unter den anderen schiebt. Trotzdem blinkt er schon mal und garniert seine Absicht noch mit lautem Hupen in Nebelhornstärke. Ich sehe kurz Ruth
im Rückspiegel, deren Gesichtsfarbe etwas Bettlakenhaftes annimmt. Nina ist auf Level 4 angekommen und damit bestens von der Todesgefahr abgelenkt, in der wir schweben. Der Blödmann neben mir drängelt sich Zentimeter für Zentimeter auf meine Fahrspur. Mein Seitenfenster ist vollständig von dem wirbelnden LKW-Rad ausgefüllt. Das Führerhaus muss etwa fünf Meter über mir sein, und im Rückspiegel sieht der Trucker
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