Alice@Hollywood
dieses Unzähmbare an die Luft zu lassen, als die mühsam gezogenen Feldfrüchte wildfremder Farmer zu zerfetzen. Erschöpft lehne ich mich zurück und füge mich freiwillig in die Rolle der Navigatorin. Ich muss ja nur einmal sagen: »Hier rechts .«
7. Al CAPONE UND SEINE SCHWESTERN
»Da. Exit«, sagt Ruth gähnend und zeigt auf ein überdimensionales, grünes Exit-Schild, welches gerade an unserer rechten Seite vorbeirauscht.
»Wie? Da, Exit. Was soll das heißen ?« , murrt Nina genervt.
»Da hättest du rausfahren müssen .«
Demonstrativ wechselt Nina auf die rechte Spur. Ein U-Haul-Kleinlaster hinter uns kommentiert dies mit quietschenden Reifen und zornigem Hupen. Die beiden kabbeln sich jetzt schon, seit wir zum ersten Mal ein Hinweisschild auf Chicago an der Autobahn gesehen haben. Nach den siebzehn Beinahezusammenstößen, die meine Zeit am Lenkrad unvergesslich machen, habe ich es vorgezogen, mich auf den Rücksitz zu verkrümeln. Ich hänge meinen Gedanken nach und schaue aus dem Fenster. Wir sind auf einer Höhe mit einem alten, blauen Ford Coupe. Ein rotnasiger Typ mit verquollenen Augen und speckigem Jackett quält seinen Wagen über den fünfspurigen Highway. Er macht den Eindruck, als hätte er bereits sein zweites Glas Whiskey vor dem Frühstück intus. Neben ihm auf dem Beifahrersitz hockt ein eher zierliches Männchen, mit dünnen, strähnigen Haaren und dicker Brille. Die ideale Besetzung für einen Film über das Leben von Losern. Wahrscheinlich haben die beiden eine Leiche im Kofferraum oder zumindest die Ehefrau eines Industriellen, die sie entführen sollten. Schätze, sie sind unterwegs zum vereinbarten Lösegeldübergabepunkt, einem Container am Hafen. Der Schlaksige schaut zu mir rüber. Flüchtig und teilnahmslos. Dann wendet er seinen Kopf zurück. Eins, zwei Sekunden später blickt der Gangster erneut zu mir. Irgendetwas muss seine Aufmerksamkeit erregt haben. Sicher meine an der Seitenscheibe plattgedrückte Nase. Peinlich. Demonstrativ schaue ich nach vorn. Er grinst, das sehe ich im Augenwinkel.
Schließlich fängt der Kleine an, mir zuzuwinken. Der Alki am Steuer sagt etwas, aber sein Beifahrer schüttelt den Kopf. Jetzt zeigt er auf mich. Ich versuche, so unschuldig wie möglich auszusehen, aber irgendwie hat der Kerl es wohl auf mich abgesehen. Seine aufgesprungenen Lippen entblößen ein paar gelbe Stümpfe, als er mir sein schönstes Lächeln schenkt. Widerlich. Fast automatisch verdrehe ich die Augen und beobachte meine rechte Hand dabei, wie sie dem Kerl den ausgestreckten Mittelfinger zeigt. Fuck you! Eine eindeutige Geste, und so herrlich international. Sofort verfinstert sich die Beifahrermine in der Rostlaube neben uns. Er wendet sich kurz ab, fummelt in seinem Handschuhfach herum. Sekunden später starre ich in den Lauf seiner Pistole, die er voller Genugtuung auf mich richtet. Ach, du Scheiße! Ich dachte immer, aus dem Auto ballernde Vollidioten gibt es nur in schlechten Filmen oder in Los Angeles. Noch einmal, vermutlich zum letzten Mal, bevor ich ins Gras beiße, zeigt er mir den Grund für seinen nächsten Zahnarztbesuch. Er zielt genau auf meine Stirn.
»Links! Links ist die Ausfahrt! Zieh rüber !« , kreischt Ruth hysterisch.
Sie packt Nina ins Lenkrad, reißt es herum und steuert den Wagen quer über den Highway, drei Spuren kreuzend, Richtung Exit. Der blaue Kidnapperschlitten geht voll in die Eisen. Das Letzte, was ich sehe, ist, wie dem Killer beinahe der Revolver aus der Hand rutscht, er nachgreifen muss und ein Schuss seine Seitenscheibe durchschlägt. Dann hat unser Wagen in einem waghalsigen Stunt die Ausfahrt erreicht. Wir gleiten von der Autobahn in den Dschungel der Großstadt. An der nächstbesten Bushaltestelle hält Nina an.
»Sag mal, spinnst du ?« , schreit sie Ruth an. »Wir hätten alle tot sein können !«
»Ich hätte tot sein können !« , japse ich los.
Dann beuge ich mich nach vorn und gebe Ruth einen Kuss auf die Wange.
»Ich glaube, du hast mir gerade das Leben gerettet !«
Mehr kriege ich nicht raus. Ich stehe noch unter Schock.
Ruth sieht mich fragend an, während ich abwesend im Chicago-Reiseführer blättere. Dann rollen wir schweigend weiter. Wir sind die ganze Nacht durchgefahren und zu nachvollziehbaren Reaktionen kaum noch in der Lage. Planlos biegt Nina in eine breite Straße am Ufer des Lake Michigan ein. Der Lake Shore Drive, wie mir mein Tourist-Guide verrät. Ruth hat sich auch beruhigt beim Anblick der
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