Alice at Wonderland
eintauche.
Ich entscheide für mich, dass ich noch genug Zeit haben werde, eine Familie zu gründen, nicht aber mich zu frisie ren und zu schminken, bis Nina ihren Thorben-Hendrik bei mir abliefert.
Sehr zu meinem Erstaunen fällt dem Kleinen beides nicht auf, als die Haustür hinter Nina ins Schloss kracht. Er bemerkt lediglich, dass ich »Scheiß-Öko-Joghurt« esse und dass der Tigerentenjoghurt viel geiler schmeckt. Au ßerdem könne man ein Mountainbike gewinnen, wenn man in vier Wochen 800 Becher davon verputzt. Na ja, denke ich, es sind nur noch knapp vier Stunden bis ein Uhr, dann ist Nina zurück, und ich kann wieder essen, was ich will.
Thorben Hendrik inspiziert meine Wohnung. Zum Glück habe ich nichts, was das Interesse eines Sechsjähri gen wecken würde. Abgesehen von den Bleikristallschwä nen meiner Mutter, die sich aber sicher mit Pattex wieder kleben lassen, wie mir Thorben-Hendrik sachkundig er klärt.
Bevor wir unsere Erfahrungen als Heimwerker vertie fen können, muss der Kleine aufs Klo. Pflichtbewusst, ich bin ja nun schließlich Babysitter, gehe ich mit. Und als er mir die Badezimmertür vor der Nase zuknallt, bin ich um drei Erfahrungen reicher. Erstens: Sechsjährige tragen in der Regel keine Windeln mehr, die man wechseln muss. Zweitens: Ich sollte mich vielleicht ein wenig intensiver mit der Materie beschäftigen, wenn ich mich dazu ent schließen sollte, selbst einmal Kinder zu kriegen. Und drittens: Thorben-Hendrik hat den längsten Schwanz von allen Jungs in der ersten Klasse der Samuel-Isaack- Grundschule. Ich sollte also besser nicht mit ins Badezim mer kommen, wenn ich keinen Schock fürs Leben haben wollte, rät er mir. Ganz der Vater.
Während der Junge im Bad lautstark sein Geschäft ver richtet, überlege ich, womit man einen Angeber in seinem Alter bei Laune halten kann. Malen Erstklässler? Lesen sie die Vogue? Oder den Hustler? Irgendwo muss ich noch meinen alten Kuschelhasen haben, dessen Füllung ich damals an eine Ziege verfüttert hatte und der jetzt mit löche rigen Strumpfhosen ausgestopft ist. Vielleicht ist das die Idee. Ich kann ihm eigentlich einen Stapel Unterwäsche hinlegen, und er ist für den Rest des Tages beschäftigt. Das hat zumindest bisher bei den meisten Männern geklappt.
»Haste deine Tage, oder was?«, lärmt es aus dem Bad.
Mein Gott, Thorben-Hendrik hat sich meine Badezim merkommode vorgenommen. Ich hätte nie geglaubt, dass es mir gelänge, ein Türschloss mit einem verbogenen Klei derbügel zu öffnen, aber in Momenten akuter Lebensgefahr wächst frau über sich hinaus. Und ich kann eine Ka tastrophe biblischen Ausmaßes gerade noch verhindern.
Gott sei Dank gehen Escape One by Calvin Klein, Jungle by Kienzo und Brit by Burberry keine chemische Reaktion miteinander ein, die die dreifache Zerstörungskraft einer Atombombe besitzt, wie Thorben es prognostiziert. Und so beläuft sich der Schaden lediglich auf einige Hundert Euro Materialwert und ein verstopftes Klo, das dabei versagt hat, eine 50er-Packung o.b. auf einmal zu verschlin gen. Und was die Kondome aus der obersten Schublade angeht, bin ich gar nicht mehr so sicher, ob mein letzter One-Night-Stand nicht damals alle verbraucht hat. Andererseits wären sie jetzt ohnehin übers Verfallsdatum hin aus. Schluchz.
Es wird echt Zeit, dass ich mich mal wieder um eine Beziehung bemühe, denke ich, als Thorben-Hendrik mir zeigt, wofür sich Jungs in seinem Alter interessieren: die Megadrive Power Super Action Penner auf Super RTL. Und in Nullkommanix hat Thorben-Hendrik meine An lage an den Fernseher angeschlossen, und ich höre in Surround-Sound Sätze wie: »Dr. Bazooka, ich werde dich tö ten und mit deinen schleimigen Gedärmen die Prinzessin Catbaby erdrosseln!«
Okay, denke ich. Kommt er wenigstens auf keine dummen Gedanken. Dann beginne ich das Bad aufzuräumen. Es ist alles nur eine Frage der Erziehung, versuche ich mir die Vorstellung, mal selbst Kinder zu haben, schönzureden. Eine eigene Familie, irgendwann mal. Ich hatte ja schon öfter drüber nachgedacht. Schon als Teenager war meine Lieblingsserie »Ich heirate eine Familie« mit Thekla Carola Wied (die ich nicht mochte, weil ich dabei immer an die Spinne aus Biene Maja denken musste) und Peter Weck (der mir allerdings mit seinem verschmitzten Wie ner Charme tierisch auf die Strähnchen ging). Jedenfalls hatten die diese drei süßen Kinder. Die älteste Tochter, die an nichts anderes in der Welt dachte als an Pferde. Eigent
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