Alice at Wonderland
bezahlen darf. Abgesehen davon, dass es irrsinnig blöd aussieht, auf diese riesigen Gummilatschen einzutreten, ist dieses Gerät für mich das Sinnloseste. Warum nicht gleich echtes Treppensteigen? Die Ausrede der Laufbandläufer, draußen sei die Luft so schlecht und deshalb das Fitness- Studio eine gute Alternative, gilt für die Stepper nämlich nicht. Die Ozon- und Kohlendioxyd-Belastung in einem repräsentativen Treppenhaus liegt definitiv unterhalb der Messgrenze.
Britta hat für mich die Laufbänder ausgesucht, ohnehin die einzige Ecke, in der noch was frei ist. Da sie den Trai ner vergrault hat, bekomme ich auch keinen Belastungs test. So lässt sie mich ohne Kenntnis um meine Leistungsfähigkeit gleich auf die Maschine los und stellt sie ein auf »äthiopischer Langstreckenläufer«.
»'ne halbe Stunde ist das absolute Minimum«, droht sie. »Ich gehe solange rüber zu den Gewichten.«
Ich nicke brav, und sobald sie verschwunden ist, reguliere ich das Band auf die unterste Stufe. Das ist immer noch ganz schön fix, und ein paar Minuten muss ich mich auf meine Bewegungen konzentrieren, bis ich den rich tigen Rhythmus gefunden habe. Mit der Hightech-Kon sole auf der Stirnseite komme ich nicht klar. Jedes Mal, wenn ich einen Knopf drücke, piepst das Instrument nur gefährlich wie das Ding an Brittas Handgelenk, lässt ein paar Zahlen in aggressivem Rot aufleuchten, die dann aber gleich wieder verschwinden. Also nehme ich die Zeit an meiner Armbanduhr. Dafür ist sie ja schließlich da. Und sie hat ein lichtblaues Zifferblatt, was farblich viel besser zu mir passt. Ich »walke« eine Weile vor mich hin und fange an, mich sogar wohl zu fühlen. Die Marschiererei wirkt irgendwie beruhigend, die Umgebung verschwimmt, die durch den Raum schwebenden Töne werden weicher. Nach ungefähr fünfundzwanzig Minu ten geht mir langsam die Puste aus, und ich schaue auf meine Uhr, nur um festzustellen, dass erst fünf Minuten vergangen sind. Ich will gerade laut aufstöhnen, da meldet sich der Ehrgeiz.
>Du wirst doch eine lächerliche halbe Stunde geradeaus laufen können<, sage ich zu mir. Und nicht so lahmarschig! Mit neu gewonnenem Elan stelle ich das Band zwei Stufen höher ein. Aus dem Laufen wird Rennen. Und eins und zwei und eins und zwei.
»Alles klar bei dir?«
Der nette Trainer steht neben mir und betrachtet meine Anstrengungen wohlwollend.
»Ja, ja«, japse ich. Weil ich es nicht gewohnt bin zu sprechen, während ich um mein Leben renne, bleibe ich kurz stehen. Das ist ja auch eine Frage der Höflichkeit. Aber das Band bleibt nicht stehen. Mit zwei ungelen ken Rückwärtsschritten versuche ich, den verlorenen Raum zurückzugewinnen, aber das Band wirft mich mit Schwung nach vorn, und ich mache eine elegante Rolle über die Konsole. Damit wäre die Frage beantwortet: So kommt man von den Bändern wieder herunter. Mein unorthodoxer Abgang hätte beinahe auch meinen Nachbarn aus der Bahn geworfen, von den Übrigen ernte ich höh nische Blicke. Klar, dass ich mich hier nicht mehr blicken lassen kann.
Der besorgte Trainer bringt mich zum Ausgang. Ich vermeide jeden Blickkontakt mit Britta. Für sie bin ich ab sofort ein hoffnungsloser Fall. Hat auch seine guten Seiten. Das Blöde ist nur: Irgendwie ist mein Ehrgeiz geweckt.
Als ich Lissy von meinem Missgeschick erzähle, hat sie nicht sonderlich viel Mitleid übrig. Vor allem, weil sie mich bislang immer als Verbündete angesehen hat. Außer ihr war ich die Einzige, die nicht dem kompletten Ge sundheitswahn aufgesessen ist.
»Was denn? Du zahlst da fürs Treppensteigen?«
Die Empörung ist deutlich herauszuhören.
»Ich mach dir einen Vorschlag. Wenn du dir unbedingt deine Knochen ruinieren willst, was ich natürlich keines falls gutheißen kann«, sagt sie, »dann bring mir doch jeden Morgen meine Zeitung hoch. Da kannst du nach Lust und Laune steppen. Und es ist billiger.«
Lissy wohnt unter dem Dach eines 24-stöckigen Apart mentblocks, und ich sage ja. Wär doch gelacht. Das ist die neue Iron-woman. Täglich ein Hochhaus besteigen und dann zwölf Kilometer mit dem Rad. Ich gebe mir zwei Wochen. Dann werde ich Brittas Frauen-Freizeit-Fußball-Club beitreten, und sie wird meinen Staub schlu cken.
Am nächsten Morgen fische ich die Süddeutsche aus Lissys Briefkasten und melde mich markig über die Ge gensprechanlage: »In 45 Sekunden, Baby.«
Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich meine, ein kreischendes Lachen aus dem Lautsprecher gehört zu haben.
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