Alice at Wonderland
Das und die Tatsache, dass ich kurz vor dem Erwachen einen kleinen süßen Traum hatte, in dem Alex vorkam, gibt mir die Gewissheit, dass heute nichts passieren kann.
Vorsichtshalber fange ich dennoch gleich an, etwas Zeit einzusparen. In einem nur mit Präzisions-Chronometern messbaren Bruchteilen einer Sekunde habe ich Tasche, Jacke und Autoschlüssel in der Hand. Fehlt nur noch ... eine SMS. Erstaunt schaue ich auf mein Handy.
Komme gleich vorbei. Jenny.
Hastig hacke ich in Großbuchstaben NEIN auf die Tas tatur und will die Antwort gerade abschicken, da klingelt es schon an meiner Wohnungstür.
Ich erwäge kurz die Flucht über die Feuertreppe. Es scheitert daran, dass ich keine habe. Ich öffne und über falle Jenny sofort: »Tut mir Leid, Jenny. Und wenn deine Mutter gestorben ist. Ich muss sofort los.«
»So?«, kommt es verwundert zurück.
Ich sehe mich im Flurspiegel, korrekt mit Jacke, Tasche und Spitzenunterwäsche. Ich ziehe mir schnell das Erst beste über, aber das gibt Jenny leider die Zeit, mir ihr Problem aufzuhalsen.
»Du musst mir unbedingt einen Gefallen tun.«
Klar, ich hätte nie erwartet, dass sie morgens vor meiner Tür steht, um mir einen Gefallen zu tun. Sie schiebt mir einen Zettel zu wie eine Zehnjährige, die ihrer Mutter eine verpatzte Klassenarbeit in Erdkunde überreicht.
»Du brauchst nur schnell bei Foto Klettenbach rein und mir das da abholen.«
Das klingt wie: Du brauchst nur eben schnell die Bank überfallen und ein, zwei Geiseln nehmen.
»Was ist das da?«, frage ich argwöhnisch.
»Du hast doch ein Auto. Das geht ganz schnell«, lenkt sie ab.
Ich setze einen Tatort-Kommissarinnen-Blick auf, und sie wird sofort kleinlaut.
»Fotos«, murmelt sie, »nur ein paar Fotos.«
»Wo ist das Problem?«
Jenny druckst herum: »Na ja, die sind ein bisschen ... huhuu ... du weißt schon.«
»Das ist nicht dein Ernst.«
Ist es leider doch. Jenny hat mal wieder in ihrem bevorzugten Revier gewildert und einen wie immer supergeilen Latino aufgegabelt. Sie haben es nicht nur wüst getrieben. Der kleine Schmutzfink hatte eine Kamera dabei. Nur ein paar Fotos eben.
»Warum holt denn dein Pablo oder wie der heißt die Bilder nicht ab?«
»Der ist doch gar nicht mehr aktuell«, wirft sie läppisch ein, »und ich ... ich trau mich nicht.«
»Wie huhuu sind die Fotos denn?«
Jenny schlägt die Augen nieder und verzieht den Mund, als hätte sie eine heiße Kartoffel auf der Zunge. »Komm schon. Was soll schon passieren?«
»Du meinst, abgesehen von der Tatsache, dass man mich für eine polymorph perverse Lesbierin halten wird?«
Mir steht das personifizierte Schamgefühl gegenüber, versehen mit zwei Rehkitz-Augen. Ich merke, wie ich weich werde. Ich kann eben nicht nein sagen. Jenny betont ständig, dass sie sich nicht für ihren Körper zu schämen brauche. Das benutzt jede abgehalfterte Pornodarstelle rin auch als Entschuldigung. Nur die schämen sich auch wirklich nicht dafür, was sie mit ihrem Körper anstellen. So weit ist Jenny wohl noch nicht.
»Du hättest sie wenigstens in so 'nem anonymen Großlabor abgeben können«, werfe ich ihr vor, als wir auf die Straße treten.
»Jorge hat gesagt, das ist Kunst. Das kann man nur in einem Fachlabor machen lassen.«
»Jorge also«, bemerke ich süffisant.
»Außerdem«, sagt sie, »in diesen Riesenlabors arbeiten nur Lüstlinge, die sich endlos Kopien machen für ihre Privatsammlung. Und am Ende finde ich mich noch im Internet wieder.«
»Na, wenn's Kunst ist.«
Jenny ignoriert die Bemerkung und fällt mir um den Hals. »Auf jeden Fall, danke. Echt. Du hast was bei mir gut.«
»Das will ich hoffen. Der nächste Typ, den du angräbst, gehört mir.«
Das hat sie schon nicht mehr gehört. Von ihrer Last be freit, ist sie leichtfüßig um die nächste Ecke. Jenny geht ein bisschen sorglos mit diesen Dingen um. Ich hoffe, dass sie nicht in den nächsten Kerl rennt, der ihr weismacht, es sei Kunst, wenn noch zwei, drei Kumpels zugucken. Erotische Fotos, na gut. Aber was fängt man damit an? So was klebt man sich ja nicht ins Album, um es später den Kindern zu zeigen. »Schau mal, das bin ich mit Onkel Jorge.«
Ich hole mein Kostüm aus der Reinigung, und glücklicherweise ist das Fachlabor Klettenbach gleich in der Nähe. Obwohl ich mir vorgenommen habe, betont teil nahmslos zu wirken, bemerke ich ein leichtes Zittern meiner Hände, als ich den Abholschein auf den Tresen lege. Der Typ dahinter, etwas gelangweilt, Mitte
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