Alice at Wonderland
zwanzig, gepierct und in Schlabberklamotten, passt eher in einen Skateboard-Laden. Wortlos nimmt er den Schein und ver schwindet hinter einer Stellwand. Und von dort kommt kurz darauf das Kichern mehrerer Stimmen.
Oh Shit, die haben sich da alles im Detail angeguckt. Danke, Jenny! Ich werde rot und kann dem Typen, der jetzt mit einem Umschlag zurückkommt, kaum in die Augen sehen. Eben noch gleichgültig, ziert sein Gesicht jetzt ein feistes Grinsen. Er reicht mir den Umschlag und lehnt sich lässig an den Tresen, als wolle er andeuten, dass sie noch mehr heiße Sachen haben, unterm Ladentisch.
»Wollen Sie sie kontrollieren?«, fragt er hämisch.
»Auf gar keinen Fall!«, antworte ich zu laut und zu schnell. »Ich meine, ist schon okay. Sind nicht meine. Ist für 'ne Freundin.«
Ich mache es nur noch schlimmer, wenn ich mich so blöd rausrede. Die halten mich sowieso schon für eine verklemmte Ziege, die ihr Sexleben mit solchen Fotosessi ons aufpeppt und dann noch nicht mal dazu steht.
Er legt den Kopf schief: »Die unscharfen brauchen Sie nicht zu nehmen.«
Unscharf! Witziges Kerlchen. Was sind die unscharfen? Die, auf denen nur eine Person zu sehen ist?
Ich stecke den Umschlag ein und bezahle 68 Euro für die Schweinigeleien. Kunst hat ihren Preis. Allmählich rennt mir die Zeit weg. Trotzdem besorge ich mir in ei ner Postfiliale noch ein braunes Kuvert. Ich werde den Eindruck nicht los, man sähe dem Fotoumschlag an, was drinsteckt. Etwas mehr Verpackung kann nicht schaden. Das kostet mich eine weitere halbe Stunde. Seitdem die
Post dazu übergegangen ist, die Kunden eine einzige Schlange für alle Schalter bilden zu lassen, hat sich mysteriöserweise die durchschnittliche Wartezeit verdoppelt. Die Erklärung für dieses Phänomen ist denkbar simpel. Da die Angestellten jetzt statt vier oder fünf Schlangen nur noch eine einzige sehen, besetzen sie einfach nur noch die Hälfte der Schalter. Damit verlängert sich ihr tariflich garantierter Mittagsschlaf um eine volle Stunde. Mich hingegen zwingt es, mit achtzig Sachen zum Flughafen zu rauschen.
Um Zeit zu sparen, entledige ich mich an einer roten Ampel schon mal meiner Alltagsbluse. So kann ich mich während der Fahrt, im sicheren Wissen darum, dass die Stadtverwaltung noch nie was von einer grünen Welle ge hört hat, wenigstens schon in das Oberteil meines frisch gereinigten und Gala-Diner-tauglichen Kostüms zwän gen. Neben mir hält ein Wagen. Was glotzt der Typ so? Wenn Jenny bei ihren Eintagsfliegen-Liebhabern einen auf Porno-Star macht, kann ich doch wohl ein paar Meter im BH durch die Gegend fahren. Ich spurte zur nächsten Ampel, und auf dem Stückchen werde zur Abwechslung mal ich fotografiert. Nicht von einem Jorge, sondern von einer Radarkamera. Na, super. Jetzt kriege ich es auch noch mit einer ganzen feixenden Polizeiwache zu tun. Es regt sich in mir der Verdacht, meine Eltern könnten sich in meinem Geburtsdatum vertan haben. Möglicherweise bin ich doch vierzehn Tage später geboren und gehöre heute zu den Unglücklichen, denen ganz genüsslich das Wort Desaster buchstabiert wird. Das fällige Ticket werde ich jedenfalls Jenny auf die Rechnung schreiben. Und auf dem Weg in die Ankunftshalle des Flughafens grüble ich nach einer Möglichkeit, ihr auch die Punkte in Flensburg anzudrehen.
Wie geplant ziehe ich mich auf der Toilette um und wer fe der Klofrau fünf Euro in die Schale, nur, um dumme
Fragen zu vermeiden. Etwas außer Atem, aber tipptopp komme ich am Gate an. Nur die Frisur sitzt nicht ganz perfekt. Die Zappelei im Auto hat sie etwas durcheinander gebracht. Und aus mir völlig schleierhaften Gründen sind Flughafentoiletten zu spartanisch ausgestattet, um so was wieder in Ordnung zu bringen.
Die Maschine aus München ist schon gelandet, und die ersten Fluggäste tauchen auf. Ich habe nur noch fünf Se kunden, darüber nachzudenken, ob der Plastiksack der Reinigung, in dem jetzt meine Bluse, die Jeans und der un sägliche Umschlag stecken, wirklich gut zu meinem Kos tüm passt. Kurz Luft geholt und dann halte ich ... eben nicht das Schild hoch, auf dem der Name meines zukünf tigen Abteilungsleiters steht. Denn das liegt friedlich in meiner Küche. Carl-Uwe Bartholomäus. Bartholomäus, denke ich. Ganz schön pompös für einen frisch geba ckenen Leiter einer Kommunikationsabteilung. Klingt wie ein verzogenes Muttersöhnchen von einer Elite-Uni. Egal, muss ich ihn eben irgendwie anders aus der Menge fischen. Kann ja nicht so
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