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Alice at Wonderland

Alice at Wonderland

Titel: Alice at Wonderland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bunzel Gaw
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wenn mich nicht die ganze Zeit die Panik im Griff hätte, ein kleiner Gefallen für eine Freundin würde mein gesamtes Leben ruinieren. Und die hat mich so gepackt, dass ich erst, als wir im Sen der angekommen sind, bemerke, wie diese unsägliche Tüte immer noch an meinem Handgelenk baumelt.
    »Herrgott, Alice, wo bleiben Sie denn?«, zischt mich mein Chef an.
    Ausrede, Ausrede, hämmert es in meinem Kopf.
    »Na ja, was sollte ich machen? Er wollte essen. Da konnte ich ihn ja schlecht mit 'ner Pommes abspeisen.«
    Klasse, denke ich. Ich habe mir nicht die Blöße gegeben, Carl-Uwe zu einem Snack zu überreden, und jetzt ist es auch noch die perfekte Entschuldigung.
    »Ja, okay, Sie haben ja Recht«, entschuldigt sich mein Chef und drückt mir ein paar Zettel in die Hand. »Was wir in der Sitzung besprochen haben, können Sie ja auch im Protokoll nachlesen. Ist wichtig für das Update. Da setzen Sie sich gleich ran.«
    »Sicher, sofort, 'ne Mittagspause braucht der Mensch ja nicht.«
    »Ich denke, ihr wart essen«, ruft er mir empört hinter her.
    Ich bin schon unterwegs zu meinem Schreibtisch. Ich arbeite in einem von drei Großraumbüros, die ersonnen wurden, um meine Konzentrationsfähigkeit einem Dau erbelastungstest zu unterziehen. Auf dem Weg dorthin fange ich mir noch ein paar dumme Sprüchlein von Kollegen ein. Warum ich denn so schick angezogen sei und wer mich heute zu einem Gala-Diner eingeladen hätte und wo ich diese umwerfende Tüte her hätte, die passe ja sagen haft zum Outfit. Das perlt an mir ab wie Regen von der Pelerine.
    Ich will diesen elenden Umschlag in meinen Schreibtisch einschließen, und ich würde es auch auf der Stelle tun, wenn dieser elende Umschlag noch in der Tüte wäre. Weg. Einfach weg. Dieser Mistkerl hat sich die Schmuddelbilder nicht nur angesehen, er hat sich gleich den gan zen Umschlag eingesteckt, in der nicht ganz grundlosen Annahme, dass ich schon den Mund halten werde. Aber so nicht, nicht mit mir. Denk nach, Alice. Ach, was, denk nicht nach, tu was. Mit ein bisschen Glück ...
    Ich rufe die Sekretärin des Abteilungsleiters an und erfahre, dass Porno-Carl-Uwe gerade beim Personalchef sitzt. So weit, so gut. Noch ein bisschen mehr Glück ...
    Ich hechte ins Personal-Office. Die Vorzimmerdame thront hinter ihrem Counter und tut das, was Vorzim merdamen quasi beruflich auszeichnet: Nägel lackieren. Mein durch Hunderte knallbunter Internet-Seiten ge schultes Auge entdeckt auf Anhieb, wonach ich gesucht, worauf ich inständig gehofft habe: Auf einem Stuhl liegen die Jacke und Carl-Uwes mondän-sportliche Maitre-Tasche. Wirklich Glück gehabt. Aufgeregt fuchtele ich mit dem Sitzungsprotokoll vor der Nase der Vorzimmerdame herum.
    »Mein Kopierer hat seinen Geist aufgegeben. Ich muss
    dringend das hier ... Wären Sie vielleicht so lieb? Absolute Ausnahme, Ehrenwort.«
    Die Zeit, die die Vorzimmerdame benötigt, um ihren Blick zu heben, reicht aus, um am Rande des Universums eine neue Galaxie entstehen zu lassen. Bis das Pinselchen wieder in den Nagellack-Tiegel eintaucht, ist sie wieder zu Staub zerfallen. Ich habe irgendwo mal ein Buch gesehen mit dem Titel »Die Entdeckung der Langsamkeit«. Das wurde ganz klar von einer Vorzimmerdame ausgedacht, im Jahre 1957. Geschrieben hat's ein anderer. Sonst wäre es heute noch nicht fertig. Nervös beobachte ich die Tür zum Büro des Personalchefs.
    »Na ja, wenn's so dringend ist«, sagt sie gedehnt und erhebt sich mit der Eleganz einer nierenkranken Elefan tenkuh. Hier haben wir ein Exemplar der weiblichen Gat tung, das sich nicht darüber beschweren darf, wenn die Kerle auf ihr einschlafen. Unschuldig lasse ich mich auf der Kante des Stuhls nieder, auf dem die Tasche liegt.
    »Reicht einmal?«, fragt die Vorzimmerdame, die sich jetzt wahrscheinlich zum ersten Mal mit der Arbeitsweise ihres Multifunktions-Kopierers auseinander setzt.
    »Nein, zehn ... warten Sie, zwan... fünfzig. Fünfzig Kopien wären spitze.«
    Fahrig fummele ich am Verschluss der Tasche. Aus dem Büro nebenan höre ich etwas. Tu mir einen Gefallen und bleib noch ein bisschen, beschwöre ich still unseren neuen Oberchef. Die Tasche ist offen, und ich lasse meine Hand hineingleiten. Die Gegensprechanlage plärrt los: »Frau Lamprecht. Wir hätten gern noch zwei Kaffee.« Frau Lam precht dreht sich um, und ich sehe sie an wie ein Kind im Konfirmationsunterricht, Rücken kerzengerade, beseelter Blick, Heiligenschein und die Hände im Schoß gefaltet. Mir bleibt

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