Alice at Wonderland
genügend, immer mit einem Lächeln auf den Lippen. Weiter so, Alice, Mitarbeiterin des Monats, Hel din der Arbeit. So schnell können Todgeweihte ins Leben zurückkehren.
Neben mir höre ich ein lautes Zischen. Aus meinem Chef entweicht die gesamte Luft in einem Rutsch. Damit ist die Versammlung aufgelöst. Carl-Uwe schüttelt mir die Hand.
»Schön, dass Sie es noch geschafft haben, Alice. Sie müssen sicher gleich zurück an den Computer.«
»Ja«, sage ich und rühre mich nicht vom Fleck. Er hat noch nicht in den Umschlag gesehen, und ich brauche nur noch einen kurzen Augenblick der Ablenkung, um die Kuverts zu tauschen. Und schwupps nimmt Carl-Uwe mein Kuvert vom Tisch und wendet sich an meinen Chef.
»Ich hab Ihnen doch von dem 65er Aston Martin er zählt«, sagt er, »ich war kürzlich auf der Beerdigung eines Arbeitskollegen. Und dessen Schwager fährt so'n Ding. Atemberaubendes Geschoss.«
Er greift in das Kuvert.
»Ich hab zwei, drei Bilder davon gemacht.«
Ist das zu glauben? Der war nicht in erster Linie wegen der Beerdigung auf dem Friedhof, sondern wegen eines blöden Autos. Das nenn ich morbide. Die Bilder, von de nen er spricht, müssen zwischen den Beerdigungsfotos stecken. Ich hatte sie vorhin in der Hektik gar nicht be merkt.
»Nicht!«, schreie ich und setze etwas leiser hinzu,
» ... wahr.«
»Nanu, Alice. Sind Sie auch Sportwagen-Fan?«
»Kaum. Wenig. Am Rande. Marginal.«
Mir fällt nichts ein. Ich bin leer und unfähig zu handeln. Sowieso egal. Carl-Uwe holt den Umschlag heraus.
»Fachlabor Klettenbach?«, sagt er erstaunt,
»komisch. War das nicht...«
Er öffnet den Umschlag, und ich sinke in die Knie. Das heißt, ich habe das Gefühl, in die Knie zu sinken. Spüren kann ich sie jedenfalls nicht mehr.
»Was ist denn das für eine ...?«,
stößt Carl-Uwe her vor.
Patagonien, denke ich. Ja, das ist gut. Patagonien oder noch was weiter südlich. Da kennt mich niemand.
»Auch interessant«, sagt Carl-Uwe, sichtlich belustigt.
Mit flatternden Lidern, ich will es eigentlich nicht wirk lich sehen, werfe ich einen Blick auf das, was mein ehema liger Abteilungsleiter in der Hand hält.
Das ist Jenny, mit einem vom Kamerablitz gebleichten Gesicht, eine Bierflasche in der Hand, rechts und links jeweils einen offensichtlich betrunkenen Typen im Arm. Und da ist sie nochmal, wie sie sich ein Stückchen spani sche Kartoffeltorte in den Mund stopft. Und da bin ich, zusammen mit Ruth. Wir kleckern uns gerade mit Tequi la voll, weil wir das Salz-Zitrone-Trink-Prozedere nicht hinkriegen. Das sind Bilder von irgendeiner Party! Der Redaktionsleiter hat's auch gesehen und pumpt sich gerade wieder Luft rein. Ich präsentiere das Kuvert in meiner Hand.
»Tut mir Leid. Da ist irgendwas, irgendwo, irgendwie durcheinander gekommen«, lautet mein Versuch einer Er klärung. Dabei kreuze ich mehrmals die Unterarme, um das Ausmaß der Verwicklung anzudeuten.
»Das hier sind, glaub ich, Ihre, Carl ... Herr Bartho lomäus.«
Ich übergebe ihm seinen Umschlag, den er mit verwirr tem Ausdruck entgegennimmt. Der Redaktionsleiter hört auf zu pumpen und ist jetzt eher erstaunt darüber, dass ich Carl-Uwe mit seinem Vornamen anreden wollte. Ich lächele ihn an und gebe ihm mit einem dezenten Schulter zucken zu verstehen, dass ich absolut keine Ahnung von dem habe, was hier in den letzten Stunden geschehen ist.
»Seltsam«, sagt Carl-Uwe, »wie kann denn, Ihre ... in meine ... zum Pförtner ... ?«
»Es gibt schon verrückte Sachen, was?«, plappere ich fröhlich drauflos, »fragen Sie mal unseren Redaktionslei ter, wie das hier manchmal zugeht.« Ich kann mich gera de noch bremsen, ihm einen kumpelhaften Klaps auf die Schulter zu geben: »Also, ich muss dann. Die Arbeit, Sie wissen ja ... jetzt ist ja alles in Butter, tralala.«
Und weg bin ich.
Nach einem kurzen Heulkrampf an meinem Schreibtisch tue ich das einzig Richtige. Ich zerschnippele Jen nys bescheuerte Fotos in tausend Stücke und die Negative gleich mit. Um zwei Uhr nachts betrete ich endlich fix und fertig meine Wohnung. Auf dem AB ist ein Anruf von Jenny:
»Du, Alice. Tut mir echt Leid, aber ich glaube, ich hab dir den falschen Abschnitt gegeben. Ich bring dir den anderen morgen vorbei, du weißt schon ... huhuu. Tschühüüß.«
Piep, Sie haben keine weiteren Nachrichten. Aber morgen werde ich ein weiteres Problem haben. Wie lasse ich eine Leiche verschwinden?
TREES LOUNGE BLUES
Vor drei Jahren hatte ich das Glück, eine niedliche
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