Alice at Wonderland
gleichnamigen -Film von und mit Steve Buscemi. Er ist absoluter Buscemi-Fan und verbringt manchmal ganze Abende damit, nur Dialoge aus dessen Filmen zu sprechen. Man sollte sich also nicht wundern, wenn ihm beim Kassieren solche Sätze rausrutschen wie: »Wir wol len jetzt aber die ganzen 80 000, Mister Lundegaard.«
Obwohl es meine Lieblingsbar ist, komme ich nicht all zu oft her. Es ist wie mit Tiramisu. Nimmt man zu viel davon, schmeckt es bitter. Ab und zu eine kleine Portion dagegen ist jedes Mal eine Offenbarung.
Und heute war ein perfekter Tag. Mein Chef hatte per fekte Laune, alle haben perfekt zusammengearbeitet, alles ist perfekt gelaufen, und sogar die Dinge, die schief gelaufen sind, sind auf eine perfekte Art danebengegangen. Das braucht einen krönenden Abschluss. Ein Abend für mich, ganz allein, das ist die beste Entspannung. Und dieses Mal nicht mit einem Glas Rotwein vorm Fernseher. Da klin gelt spätestens nach dem Vorspann des Abendfilms das Telefon und drängt mir ein Thema auf, das mich schon seit langem nicht interessiert. Zwei Stunden später weiß ich alles darüber und hab den Film verpasst. Heute nicht. Zwei Cocktails, relaxte Musik, keine Problemgespräche. Nicht, dass meine Freunde nur Probleme hätten. Sie ha ben immer nur dann Probleme, wenn ich sie treffe. Heute einem Bekannten in der Trees Lounge über den Weg zu laufen ist ausgeschlossen. Keiner von ihnen wohnt in die ser Gegend. Und sie haben nur vor einem mehr Horror, als sich ohne Verabredung aus dem Haus zu wagen: die Grenzen ihres Wohnbezirks zu überschreiten, selbst mit Verabredung.
Unschlüssig stehe ich vor meinem Kleiderschrank, auf der Suche nach dem amtlichen Frau-alleine-in-der-Bar- Outfit. So ganz allein werde ich natürlich nicht sein. Heu te macht der schwule Ralf den Barmixer, und den kenn ich ganz gut. Wie die meisten Schwulen hat er ein fantasti sches Gespür dafür, ob ich mich unterhalten möchte oder - wie heute Abend - einfach nur meinen Gedanken nach hängen. Die übrigen Männer in der Bar stellt man sich am besten als lauernde Panther vor, die in Sekundenschnelle auf Schlüsselreize reagieren. Die Trees Lounge ist Gott sei Dank nicht der klassische Anmach-Laden, bei wilden Tieren tut man aber trotzdem gut daran, nicht zu provo zieren. Ohne Schlüsselreize sind sie zahm und knabbern an den Nüsschen. Das bedeutet nicht, dass ich ganz fix noch einen Kartoffelsack umnähen muss. Aber knapp und schwarz geht schon mal nicht. Da kann ich mir gleich ein Schild mitnehmen: »Bin notgeil!« Oder wahlweise Pfef ferspray.
Jenny sagt immer, dass sie sich anzieht, wie sie sich fühlt. Offenbar fühlt sie sich also vorwiegend tief ausgeschnitten. Kommt jetzt auch nicht infrage. Meine Arbeitskollegin Britta geht da anders ran: »Also, das sollte heutzutage echt egal sein. Ich meine, zieh an, was dir gefällt. Wurscht,
was die anderen denken.« Britta hat natürlich auch leicht reden. Sie ist ja hauptberuflich Trendsport-Fanatikerin und rennt fast ausschließlich im Nike-Dress nun. Bei uns normalen Frauen baut sich ja ein guter Teil des Selbstwertgefühls exakt darauf auf, was die anderen denken. Wer ist so blöd zu glauben, wir würden achtzig Prozent unserer Freizeit in Boutiquen verbringen, nur weil es uns Spaß macht?
Vielleicht haben aber auch alle meine Freundinnen gleichzeitig Recht. Ich überlege kurz, wie ich mich fühle. Blumig kommt meinem Zustand am nächsten, also neh me ich was von Kookai. Mir doch egal, was die anderen denken.
Ralf, der schwule Barmixer, ist noch nicht da, als ich angenehm blumig die Bar betrete. Den Typ, der hinter dem Tresen steht, habe ich noch nie hier gesehen. Er sieht ein wenig aus wie die Kurzausgabe von Johnny Weißmül ler, mit langen Haaren und einem melancholischen Welt schmerz-Blick, mit dem er stumm die Gäste auffordert, doch möglichst schnell wieder zu gehen und ihn in Ruhe zu lassen. Ich nötige ihm trotzdem meinen Wunsch nach einem White Russian auf und sehe mich um.
Zwei fröhlich schnatternde Grüppchen stehen beiein ander, und in verschiedenen Ecken lauern vier Panther, noch mit dem Knabberschälchen beschäftigt. Der Harmloseste von ihnen gehört zur »Ich warte bis die Frau mich anspricht«-Sorte. Was er vermutlich ohne jeden Erfolg bis ins hohe Alter machen wird. Diese Typen versuchen die Kontaktaufnahme durch häufige und viel zu lange Blicke, aber mit einem Gesicht, als hätten sie Krebs im Endstadium. Irgendwann haben sie dann einen zu viel getankt, nehmen
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