Alice at Wonderland
Geschenk schmeckt. Shit! Ich kann doch jetzt nicht rüber und ihm diesen Plunder andrehen: »Hier, du Hengst. Das ist von Susa. Sagenhaftes Tröpfchen, muss ich sagen. Und grüß deine Stute von mir.«
Das Talent zur Improvisation ist ein klares Erfordernis in meinem Beruf, und das kommt mir jetzt zugute. Ich denke an meine Mutter und den Aldi-Wein und fülle die Flasche mit einem Zehn-Euro-Navarra auf, der im Ver gleich zum Original wie Petroleum schmeckt. Hoffent lich kennt sich mein Nachbar mit Wein nicht viel besser aus als ich. Den Korken klopfe ich umgekehrt bis zum Anschlag wieder in den Flaschenhals. Glücklicherweise habe ich ihn beim Öffnen nicht gänzlich durchbohrt. Die Bleimanschette kann ich mit Sekundenkleber einigerma ßen professionell wieder fixieren. Als Ersatz für den Umschlag habe ich leider nur einen hellblauen, der nicht ganz so geschmackvoll mit dem notdürftig reparierten grünen
Geschenkpapier korrespondiert. Das Ganze sieht jetzt ein wenig unter die Räder gekommen aus. Aber das kann man vielleicht mit den zittrigen Fingern einer fremdgehenden Ehefrau entschuldigen, die es sich gerade hengstmäßig hat machen lassen.
Ich werde die Flasche meinem Nachbarn heimlich vor die Tür stellen und die nächsten sechs Monate durch Zentralasien trampen. Wenn alles glatt läuft, kommt der Ehe mann in der Zwischenzeit hinter die Affäre und erschießt den Chemielehrer. Ich brauche leise Sohlen und finde nach längerem Suchen ein Paar Tiger-Puschen. Diese Art Pantoffel, die wie Plüschtiere aussehen, mit Gesicht und Pfoten und allem. Bis jetzt habe ich sie nie getragen. Ein Geschenk meiner Mutter. Das muss auch in dieser ominö sen Broschüre stehen. Für mein Vorhaben aber genau das Richtige.
Ich schleiche in den Flur, ohne das Licht einzuschalten, und ziehe meine Wohnungstür so weit heran, dass auch kein Licht von drinnen in den Hausflur fällt. Mit dem letzten Schein präge ich mir die Richtung ein, und dann wird es stockduster. Vorsichtig tappe ich auf meinen Tigern vorwärts. Es sind nur zwei Meter, daher verwundert es mich umso mehr, dass ich bereits nach drei kleinen Schritten hörbar gegen ein Hindernis knalle. Erschreckt mache ich einen Satz rückwärts, trete dabei auf eines der Tigergesichter, komme ins Straucheln und lege mich pol ternd lang in den Flur. Weil ich eine Hand zur Rettung der Weinflasche brauche, habe ich nur noch eine, um den komplizierten Sturz abzufangen. Mit der Konsequenz, dass ich mir drei, vier Blessuren an Körperstellen hole, die üblicherweise nicht mit Flurböden in Berührung kommen. Heftig atmend liege ich da und bete, dass der Herr Lehrer nichts davon mitbekommen hat. Und gefälligst auch sonst niemand. Aber es bleibt ruhig. Nur weiß ich jetzt nicht mehr so genau, wo ich mich befinde.
Ich ertaste das Treppengeländer, immerhin ein Orientierungspunkt, drehe mich in die vermeintlich richtige Richtung und krauche los. Mit einem sanften bunk stoße ich mit dem Kopf gegen etwas Hölzernes. Es stellt sich als die Tür meines Nachbarn heraus, und zwar sehr deutlich, weil er sie in diesem Augenblick öffnet. In dem aufflam menden Flurlicht beseitige ich alle Zweifel, ob ich noch alle Tassen im Schrank habe oder nicht. Eine einfache Grube, um vor Scham darin zu versinken, reicht nicht aus. Ich brauche einen stillgelegten Stollen, mit sechzig Meter solidem Erdreich darüber, abgedeckt mit einer stählernen Platte und einem 40-Quadratmeter-Mausoleum oben drauf, um diesen Gipfel an Peinlichkeit für immer zu begraben. Dem Gesichtsausdruck meines Nachbarn nach zu urteilen, sieht er das ähnlich. Ich knie vor ihm auf dem Boden, die Flasche in der Hand, einen Tiger am rechten Fuß. Der andere liegt am Treppenabsatz wie erschosse nes Wild. Und dieses Mal befindet sich mein Gesicht in der Höhe seiner Beckenknochen. Vom Treppenabsatz aus, den das griechische Ehepaar gerade erreicht hat, wirkt das sicher ziemlich anstößig.
Ich erhebe mich langsam. Es gibt keinen Grund mehr, übertriebene Eile an den Tag zu legen. Mein Ruf dürf te restlos ruiniert sein. In der hausinternen Klatschspal te werde ich morgen den Spitzenplatz einnehmen. Der griechische Ehemann überreicht mir wortlos meinen Pu schen, aber mit ausgestrecktem Arm und spitzen Fingern, als befürchte er die Übertragung einer tödlichen Nerven krankheit. Eine Totalniederlage hat den Vorteil, dass man nichts mehr falsch machen kann. So übe ich mich in Lo ckerheit.
»Tja«, sage ich gelassen, »ein kleines
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