Alice at Wonderland
Versehen. Ich hab erst in meiner Wohnung gemerkt, dass ich ja eigentlich überhaupt niemanden kenne, der ausgerechnet mir eine Flasche Wein schenken würde. Doof, oder? Na, und da hab ich mir gedacht, das hier ist dann ja wohl Ihre.«
»Eine Flasche Wein?«, fragt mein Nachbar lauernd.
»Äh, na ja, sieht doch aus wie eine Flasche Wein. Ich meine, Sektflaschen sind irgendwie schwerer und Bier wird's ja wohl nicht sein, haha.«
Er grummelt wenig überzeugt und nimmt das Geschenk entgegen. Dass es ramponiert ist, kann ich jetzt zumindest auf mein Missgeschick im Treppenhaus schieben.
»War da nicht eine Blume dabei?«
>Korinthenkacker<, denke ich angesäuert. >Sei doch froh, dass ich sie dir nicht ganz ausgetrunken habe.< Manche sind aber auch gar nicht zufrieden zu stellen.
»Oh, ja. Die muss mir irgendwie ...«
Ich wedele in einer hilflosen Geste Richtung Treppenabsatz, während sich sein Gesichtsausdruck verändert. Er hat irgendwie was Verschlagenes, finde ich.
»Ist ja halb so schlimm«, sagt er, »kommen Sie doch ei nen Moment mit rein. Wir können doch zusammen ein Schlückchen nehmen. Auf gute Nachbarschaft, sozusa gen.«
Kommt ja gar nicht in die Tüte, ist mein erster Gedanke. Aber er hat mir gleich zwei schwarze Peter zugescho ben. Sag ich nein, bin ich keine gute Nachbarin und mache mich womöglich verdächtig, irgendetwas mit seinem Prä sent angestellt zu haben, nicht ganz unbegründet. Außerdem tut sich da eine Gelegenheit auf, meinen Pfusch am Verschluss der Flasche nicht auffliegen zu lassen.
»Na ja, kurz«, sage ich und füge mich ins Schicksal.
Die Einrichtung seiner Wohnung versucht einen etwas im Schritt knarzenden Spagat zwischen einem leicht ge hobenen Kolonial-Ambiente und einem grellbunten Juchhu-junges-Wohnen-Stil. Ein Zimmer ist verschlossen, der Arbeitsbereich seines Hengst-Daseins vermutlich. Alles blitzblank wie im Katalog, und die Küche ist die sauberste, die ich je gesehen habe. Ohne größere Vorbereitungen ließe sich hier eine Operation am offenen Herzen vornehmen. Er stellt die Flasche ab und holt einen Korkenzieher
aus der Schublade. Und beides entreiße ich ihm in Win deseile.
»Das mach ich!«, sage ich schnell und versuche, es witzig klingen zu lassen, »ich bin professionelle Weinflaschen- Entkorkerin. Ich mache oft tagelang nichts anderes.«
Ich fummele den Umschlag vom Hals der Flasche und reiche ihn herüber.
»Das ist bestimmt für Sie«, sage ich überflüssigerweise.
»Sind Sie ganz sicher?«, fragt er süffisant.
Sieh an, Herr Chemielehrer. Immerhin haben Sie was für Ironie übrig.
Während er den Umschlag öffnet, habe ich gewisse Schwierigkeiten, die Bleimanschette zu entfernen. Der Sekundenkleber hält bombenfest. Mir bleibt nichts übrig, als das runde Stückchen über der Flaschenöffnung mit der Spitze des Korkenziehers zu zerfetzen. Das sieht jetzt nicht im Ansatz professionell aus, und es entgeht ihm auch nicht. Ich lenke ab.
»Donnerwetter«, sage ich scheinbar beeindruckt mit Blick auf das Etikett, »das ist aber mal ein edles Tröpfchen. Oder?«
Ich halte ihm das Etikett hin. Vielleicht verrät seine Antwort, ob er zur Liga der Weinkenner gehört. Er macht nur ein brummelndes Geräusch, das sich als Zustimmung interpretieren lässt. Die Zeilen in dem Briefchen nehmen ihn zu sehr in Anspruch. Auch gut. Ich nutze die Gelegenheit, den Korkenzieher anzusetzen und will ihn hineindrehen. Der leichte Druck reicht schon aus und der Korken flutscht in die Flasche, wobei ich mir die Bluse mit dem herausschießenden Bordeaux-Navarra-Gemisch einsaue.
»Oh, Mist.«
»Was ...?«, entfährt es ihm.
Er sieht mich an, saust dann fast panisch an einen Kü chenschrank, holt einen Lappen hervor und nibbelt wie wild auf dem Küchenboden herum, der ein paar Tropfen
abbekommen hat. Dass ich mich bekleckert habe, interes siert ihn nicht im Geringsten.
»Vielleicht doch nicht so edel, der Wein«, stelle ich eine professionelle Vermutung an, »hat vielleicht schon Luft bekommen.«
Achtlos brummelt er wieder was, verteilt etwas Sagro tan auf die kontaminierten Flächen und beruhigt sich dann wieder.
»Darf ich mal?«, fragt er, nimmt mir die Flasche ab und betrachtet mein Werk mit etwas zu viel Argwohn für mei nen Geschmack. Besser hätte die auch kein Landstreicher entkorkt. Wenn man das Entkorken nennen kann. Er reinigt auch die Flasche penibel, achtet darauf, dass kein Tröpfchen auf seine antiseptischen Küchenmöbel fällt. Dann füllt er zwei Gläser
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