Alice at Wonderland
könnte, klingelt das Telefon. Ein Gefühl sagt mir, dass er es sein muss. Er wird wissen wollen, wie mir sein Geschenk schmeckt. Die Logik versucht, mir dazwischenzufunken. Er hat meine Telefonnummer gar nicht. Außerdem kann er gar nicht wis sen, dass ich seine Flasche gerade aufgemacht habe. Aber hier geht es um Gefühl. Wer braucht schon Logik? Außer Mobiltoiletten-Designer vielleicht. Ich lache geradezu in den Hörer: »Ja, hallo?«
»Hallo, Alice.«
Es ist meine Mutter. Ich ertränke meine enttäuschen de Erkenntnis, dass auch andere Berufsgruppen mit etwas mehr Logik ans Leben gehen sollten, in einem kräftigen Schluck edlem Bordeaux.
»Na, du hörst dich aber fröhlich an, Kind. Geht's dir gut?«
»Jaja«, sage ich und gewinne meine Fröhlichkeit zurück. »Doch, ja. Mir geht es ganz gut.«
Ist es eben nicht Alex. Wir sehen uns ja morgen.
»Hast du endlich einen Mann gefunden?«
Nur Mütter können aus dem einfachen Umstand, dass es der Tochter gut geht, diesen Schluss ziehen.
»Rufst du deswegen an?«, will ich wissen.
»Nein, nein. Ich rufe nur an, um zu hören, ob es dir gut geht. Also, hast du nun?«
Meine »Veranlagung« Richtung Frauen scheint meine Mutter komplett vergessen zu haben. Gut so, ich werde sie nicht daran erinnern.
Für meine Mutter habe ich normalerweise nur zwei Aggregat-Zustände. Glücklich, wann immer ein Liebhaber in der Nähe ist, und unglücklich, sobald sie sich wieder ver abschiedet haben. Dabei definiert sie glücklich auch nicht als wirklich glücklich, weil sie mir den Hang unterstellt, immer auf die Falschen reinzufallen. Im Grunde meint sie also nicht: Hast du endlich einen Mann gefunden? Son dern: Hast du endlich den Richtigen gefunden? Im Klartext: den Richtigen für meine Mutter. Ich weiß nicht, wo sie das herhat. Vermutlich schiebt man Gebärenden gleich im Kreißsaal eine Broschüre unter, in der haarklein aufgelistet ist, womit Mütter ihre Kinder jahrzehntelang nerven können.
»Hab ich was?«, frage ich unschuldig.
»Tu nicht so. Du hast schon verstanden.«
Leider versuche ich auch dieses Ablenkungsmanöver nicht zum ersten Mal. Leicht zu durchschauen. Ich ver sichere ihr, dass ich nicht habe und es auch nicht so aus sieht, als ob ich in naher Zukunft gehabt haben werde. Da meine Mutter nur wissen wollte, ob's mir gut geht, dauert das Gespräch lediglich knappe zwei Stunden.
Als ich den Hörer endlich von meinem heißgelaufenen Ohr nehmen kann, ist die Flasche Bordeaux halb leer. Ich fülle mein Glas erneut und öffne den Umschlag. Da er ge klebt ist, ritze ich ihn an der Kante mit einem scharfen Messer auf. Drinnen steckt eine weiße, schmucklose Kar te. Ich schließe kurz die Augen, wie ein verknallter Teenie, der noch einen kribbelnden Moment zögert, bevor er die sehnsüchtig erwarteten Worte liest.
Danke für die Reitstunde, mein kleiner Hengst. Der Wein ist übrigens ein »Geschenk« von meinem Mann. Natürlich weiß er auch davon nichts. Bis zum nächsten Mal. Kuss, Susa.
Diese völlig unerwarteten Worte ernüchtern mich schlagartig. Mir dämmert plötzlich, wie ich das kurze Zö gern meines Chemielehrer-Nachbarn und seinen Blick zu interpretieren habe. Er hatte diese Worte erwartet. Das war sein Geschenk. Er muss sich vorhin nicht ganz sicher gewesen sein, ob er richtig mit seiner Vermutung lag, es handele sich bei der Flasche um sein Geschenk oder ob es nur ein komischer Zufall war, dass auch vor meiner Tür eine verpackte Flasche stand. Dieser zwölfjährige Dreckskerl aus dem Parterre hat sich wieder einen blöden Scherz erlaubt und die Pulle einfach vor meine Tür gestellt. Ich überfliege noch einmal die Notiz. Unglaublich, wie viel sich hinter so wenigen Worten verbergen kann. Mein dröger Nachbar bumst eine verheiratete Frau und das offenbar ziemlich leidenschaftlich. Ein Hengst. Sie wartet sehnsüchtig auf die nächste Reitstunde. Darüber hinaus muss der gehörnte Ehemann ein ziemlich großes Tier sein, wenn er sich einen Weinkeller dieser Güteklasse leisten kann und die Flasche Bordeaux offenbar nicht mal vermissen wird. Neugierde ist ja ganz schön. Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich 50 viel über meine Nachbarn wis sen will. Und ich steh jetzt da! Der Wein ist halb leer, das Geschenkpapier zerrissen, der Brief geöffnet und mein Nachbar weiß, dass ich sein Präsent habe.
Angestrengt lausche ich, ob in der Wohnung neben an vielleicht das Telefon läutet. Seine Susa ruft nämlich garantiert an, um zu erfahren, wie ihm das
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