Alice at Wonderland
und stößt mit mir an.
»Ich bin Peter«, sagt er übertrieben feierlich.
»Alice«, antworte ich, »ich wohne nebenan.«
Er lächelt kurz und nippt an seinem Glas, während ich ihn reglos anstarre wie ein Fahnenflüchtiger sein Erschie ßungskommando. Peter verzieht scheinbar anerkennend nur leicht die Mundwinkel mit aristokratischer Zurück haltung. Entweder macht er sich nicht viel aus Wein, oder er gehört zu den besserwisserischen Angebern, denen man eine Flasche Essig mit einem Chateau-Lafitte-Etikett un terjubeln kann und die trotzdem darauf bestehen, sogar das Anbaugebiet herauszuschmecken. Wir gehen in sein Wohnzimmer, wo ich mich erleichtert auf sein knallrotes Juchhu-junges-Wohnen-Plüschsofa fallen lasse. Auch hier ist alles superclean, und alle Gegenstände im Raum wirken wie mit dem Lineal gezogen aufeinander ausgerichtet.
Meine Erleichterung verwandelt sich durch eine kaugummizähe Konversation sofort wieder in quälende Be klemmung. Mir fällt auf, dass Peter jedes herunterfallende Staubkorn sofort entfernt. Ein Putzfimmel-Typ. Ich wage mir gar nicht vorzustellen, wie seine Hengstnummer dann wohl aussieht.
»Schön hast du's hier.«
»Schicke Pantoffel, die du da anhast.«
»War das teuer?«
»Hast du auch Probleme mit dem Wasserdruck im Bad?«
In diesem Tenor stoppelt das Gespräch eine Anstands halbestunde über holperiges Terrain. Als ich mich endlich wieder in meiner eigenen Wohnung wieder finde, bin ich geheilt von der Neugierde, das letzte große Rätsel der Menschheit betreffend. Ich weiß jetzt, was in Peters Woh nung geschieht, und das reicht mir fürs Erste.
Vor allem aber weiß ich, was morgen in aller Frühe mit den Reifen eines Kinderfahrrades geschieht, das vor der Wohnung im Parterre abgestellt ist.
DAS CAFE AM ENDE D ES UNIVERSUMS
Heute treffe ich mich mit Alex. Nett beisammensitzen, auf einen Kaffee, unverbindlich plaudern in gelöster At mosphäre, eine total unaufgeregte Angelegenheit, nichts, worüber ich in Panik geraten müsste. Also nur die üblichen Vorbereitungen. Eine Typberatung, Friseur, Mani küre, Pediküre, Sonnenbank, zwei, drei Boutiquen, ein Paar neue Schuhe und einen Termin beim TÜV, ob das auch alles in Ordnung geht und so. Ich gerate in Panik.
»Warum gerätst du in Panik?«, fragt mich mein Spiegel bild. »Es ist, wie du sagst. Ein unverbindliches Treffen.«
Dass ich die Nacht kein Auge zugemacht und zum Frühstück kaum einen Bissen herunterbekommen habe, liegt sicher daran, dass ich etwas überarbeitet bin.
»Klar. Du gehst doch nicht zu einem Rendezvous.«
Ist das etwa mein Yang, das da zu mir spricht? Was ist mit den berühmten Schmetterlingen im Bauch? Irgendet was in dieser Körperregion ist jedenfalls anders als sonst.
»Wenn du irgendwelche Insekten verschluckt hast, geh zum Arzt.«
Es ist mein Yang. Und so was wird im Lexikon als schöpferische Kraft definiert. Mein Yin gewinnt die Ober hand und versichert mir, dass nichts daran auszusetzen ist, beim ersten Treffen einfach sagenhaft auszusehen. Nur Männer können es sich leisten, bei solchen Gelegenhei ten in Windjacke und ungewaschenen Jeans zu erschei nen. Das ist dann nicht schlumpig, sondern originell. Wir hingegen wissen, dass der erste Eindruck entscheidend ist. Und der zweite. Und der dritte. Und so weiter. Das heißt aber nicht, dass wir uns deshalb logischen Argumenten verschließen. Also streiche ich die Typberatung aus der Liste. Ohnehin eine dubiose Veranstaltung. Egal, wie man da aufläuft, man wird todsicher zum exakt gegenteiligen Typ erklärt, kombiniert mit der unschlagbaren Offerte: »Wir haben da was im Angebot.« Das funktioniert im mer und überall. Ich bin schon mit einem mordsmäßigen 1000-EuroMultifunktionskühlschrank mit Ice-Crusher nach Hause gekommen, obwohl ich eigentlich eine Pick nick-Kühlbox kaufen wollte. Ich muss aber zugeben, dass in meine neue Arktis-Gefrierkombination deutlich mehr Nagellack reinpasst.
Ich verschwinde in meinem Kleiderschrank, und in rekordverdächtigen zwei Stunden habe ich mich für die passende Unterwäsche entschieden. Ich habe nicht die Absicht, dass sie heute Abend jemand anderes zu Gesicht bekommt als mein Wäschekorb. Es ist für das Gefühl. Was ja irgendwo auch wieder logisch ist. Ausgerüstet mit der Sicherheit dieser überaus praktischen Herangehensweise brauche ich für den Rest lediglich einen halben Tag, und danach stecke ich in einer unglaublich fabelhaften Kombination, die mich jubelnd dazu veranlasst, alles
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