Alice Bhattis Himmelfahrt - Hanif, M: Alice Bhattis Himmelfahrt
Christus, blamier mich nicht vor all diesen Muslas, mein Kind.“ Knappe Gebetseinlagen sind neben guten Manieren Dr. Pereiras zweite Führungsqualität.
Die Antwort ist einfach. Alice Bhatti kennt sie. Sie hat sie vor dem Spiegel geübt. Doch nun braucht sie Wasser. Das Herz schlägt ihr bis in die ausgedörrte Kehle. Ein seltsames Krächzen kommt aus ihrem Mund. Ihre Stimme klingt wie die eines Froschbabys, das sich beklagt, zu klein zu sein für diese Welt. Zum ersten Mal in ihrem Leben fällt ihr auf, dass ein Gecko vier Füße hat.
„Ich bin qualifiziert …“ Alice merkt, dass sie den Rest der Antwort vergessen hat. Sie beschließt, ohne Rücksicht auf Verluste vorzupreschen, wie ein in der Mitte einer Schnellstraße gestrandeter Fußgänger: Augen zu und durch. Alles kommt in einem chaotischen Redeschwall heraus. Unfalldiagnostik. Umgang mit Kindern. Erste Hilfe. Sofortmaßnahmen. Im Dienste der Patienten und der Menschlichkeit. Pflege von Kranken und Sterbenden. Erfahrungen auf der TB-Station, bevor sie geschlossen wurde. Persönliche Rückschläge. Problematik der Beziehung zwischen Patienten und Ärzten. Praktikum auf der Entbindungsstation. Flexible Arbeitszeit.
Nachdem Alice Bhatti eine ganze Minute gesprochen hat, ohne ohnmächtig zu werden, holt sie tief Luft und merkt, dass alles aus ihr herausgesprudelt ist, was sie eigentlich auf das gesamte Vorstellungsgespräch verteilen wollte.
Von Ferne ertönt ein Martinshorn, und der Deckenventilator wird plötzlich schneller. Ihr Dupatta bläht sich in seinem Wind, und die drei Gesichter vor ihr verschwimmen zu einer gesichtslosen Menge, die auf dem Weg zu einer Lynchjustiz beschließt, zuerst einmal an einem streunenden Hund zu üben. Die Sirene ist jetzt ganz nah, und Alice muss an ihren Traum in der vergangenen Nacht denken. Sie lag in einem Krankenwagen, in einem sich in rasender Fahrt vom Herz Jesu entfernenden Feuerball. Im Traum hatte sie sich gewundert. Einen brennenden Krankenwagen konnte sie sich vorstellen. Aber was hatte sie darin zu suchen? Warum war ihr Gesicht in Eiswürfel gepackt? Und warum fuhr der Wagen vom Krankenhaus weg?
„Nach den modernen Prinzipien der Krankenpflege, und was die gute Beziehung zwischen Patient und Pflegekraft angeht …“
„Sie sagten, Sie haben bereits in der Notaufnahme gearbeitet?“, unterbricht Ortho Sir sie und streichelt den Alien auf seinem Kopf. „Oh ja, natürlich, gewiss. Hatten wir dort nicht einen kleinen Unfall? Wie konnte ich das vergessen?“ Schwester Alice Bhatti kann nicht fassen, dass Ortho Sir sich an ihr Gesicht erinnert, auch wenn sie ihn natürlich nicht vergessen hat. Ebenso wenig wie den Eimer, die Blutlachen auf dem Boden und ihren Mopp, über den er gestolpert war.
Während einer ihrer Schichten als Aushilfe in der Notaufnahme hatte sich offenbar die halbe Stadt in den Bauch geschossen und ihre Eingeweide auf dem Boden der Notaufnahme verteilt.
„Seit wann zählt es als Erfahrung in der Notaufnahme, wenn man dort den Boden gewischt hat?“ Ortho Sir macht eine Wisch-Geste. „Pereira-Sahib, wenn ich heute hier als Putzmann arbeite und morgen mit einem Chirurgendiplom auftauche, heuern Sie mich dann als Chefarzt für die Orthopädie an?“
Dr. Pereira, Arzt in der dritten Generation, schüttelt den Kopf. Nicht um zu verneinen, sondern aus Verzweiflung. Er ist zu höflich, um darauf hinzuweisen, dass nicht alle Christen Putzleute sind. Außerdem fürchtet er sich vor der Antwort: Doch, alle Christen sind Putzleute. Wenn Alice Bhatti die Stelle nicht so nötig hätte, wenn sie die Lücke zwischen der Ausbildung zur Krankenschwester und ihrer ersten Stelle nicht gelöscht hätte, um zu vertuschen, dass sie vierzehn Monate in einer Besserungsanstalt für Frauen und Kinder verbracht hat, hätte sie gesagt, was ihre Mutter unzähligen Männern an den Kopf geworfen hatte: „Wenn ich dir den Mopp in den Hintern schiebe, läufst du rum wie ein Pfau.“ So jedoch lässt sie Ortho Sirs Bemerkung unbeachtet und schaut zu dem jungen Bürogehilfen, der in einer Ecke vor sich hinkritzelt und sich gebärdet wie ein Dichter. Notizen macht, als würde er eine Aufsichtsratssitzung protokollieren, als würde er etwas verstehen. Als könnte er auch nur einen korrekten Satz schreiben. Das Geschreibsel stört sie eigentlich nicht – schließlich ist das seine Aufgabe –, aber Noors Anwesenheit ist ihr unangenehm. Vor allem heute.
Später werden die Leute sagen, man hätte ihr die Stelle nicht
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