Alice Browns Gespuer fuer die Liebe
einer Stunde musste sie ohnehin aufstehen, sich umziehen, ein neues Gesicht malen und in den 119er Bus steigen, um ins Büro zu fahren, als sei ihre Welt letzte Nacht nicht in tausend kleine Stücke zersprungen. Heute war der erste Tag ihres neuen Lebens: eines mitfühlenderen Lebens. Und je früher sie zur Arbeit ging, desto früher konnte sie Pickles abholen. Der Tierarzt hatte gesagt, sie könne am kommenden Nachmittag vorbeikommen. Jetzt musste sie diesen Tag nur noch irgendwie hinter sich bringen.
Lou
T rotzig stolzierte Lou an den Berufspendlern vorbei, drängelte sich durch die Menschenmassen und ignorierte die missbilligenden Blicke, die sie dafür erntete. Nichts konnte sie von ihrer Mission abhalten, die da lautete, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen.
Sie wollte nichts lieber, als die Haustür hinter sich zuziehen, sich die Klamotten von gestern Abend vom Leib reißen und sich das Make-up aus dem Gesicht wischen. Ihre Aufmachung – die gestern noch so sexy gewirkt hatte – brannte nun wie ein giftiger Film auf ihrer Haut. Aber wenn sie sich jetzt vorstellte, wie sie in die siedend heiße Badewanne stieg, würde sie vermutlich gleich anfangen zu weinen. Und das kam überhaupt nicht in die Tüte.
Aus den Augenwinkeln sah sie, wie eine Geschäftsfrau sie mit unverhohlener Abneigung musterte und zweifellos Lous Ledermini und die Netzstrümpfe mit ihrem dezenten A-Linienkleid und den Strumpfhosen im dreistelligen DEN-Bereich verglich. Lou guckte sie herausfordernd an und hob dann ganz langsam den gestreckten Mittelfinger. Schnell schaute die Frau weg, mit hochroten Wangen, und Lou freute sich diebisch. Seit Jahren hatte sie niemandem mehr den Stinkefinger gezeigt!
Als sie den Bus um die Ecke biegen sah, zwang sie ihre Zwölf-Zentimeter-Stilettos zu einem ungelenken Sprint zur Haltestelle. Schnell kletterte sie hinein, übersah geflissentlich die unzähligen missbilligenden Blicke, die sie empfingen, und marschierte zu einem freien Sitzplatz. Der Bus fuhr los, und sie rechnete rasch nach, wie viele Minuten sie noch von zu Hause trennten.
Am Abend zuvor war der Plan ihr noch perfekt erschienen. Wie erhofft war Simon mittlerweile Stammgast in der Bar geworden. Es war harte Arbeit gewesen, aber nach und nach hatte Lou herausgefunden, dass er im mittleren Management einer Bank arbeitete und Spionagethriller, Kinofilme und Cidre mochte. Einmal im Monat besuchte er seine Eltern, er hatte immer saubere Fingernägel, und – das Wichtigste – er war Single. Es war an der Zeit, Operation Wir-vögeln-Mr-Nice-Guy zu starten. Sie würde es Kate schon noch zeigen. Falls Lou überhaupt jemals wieder mit ihr reden würde.
Außerdem fing sie ihren ursprünglichen Motiven zum Trotz langsam an, Simon zu mögen. Er war anders; so nett. Er betrank sich nicht bis zur Bewusstlosigkeit und begaffte nicht jede Frau, die hereinkam. Er war still und klug und stellte Lou interessierte Fragen. Vielleicht hatte Kate ja doch Recht mit ihrem Fester-Freund-Gefasel. Vielleicht wäre es wirklich ganz nett, jemand würde sie abends, wenn sie von der Arbeit nach Hause kam, fragen, ob sie einen schönen Tag gehabt hatte, ihr ein Glas Wein einschenken, sie irgendwann seiner Mutter vorstellen. Warum sollte ihr das nicht auch mal passieren, ausnahmsweise? Warum sollte der nette Junge von nebenan sich nicht in sie verlieben und mit ihr zusammen sein wollen?
Nach etlichen Wochen Smalltalk beschloss Lou schließlich, es sei genug des Vorspiels. Sie machte sich bereit zum Angriff.
Mit besonderer Sorgfalt legte sie sich ein Outfit zurecht. Simon war nicht wie die anderen Männer; er war schüchtern und zurückhaltend, und Lous zweideutige Anspielungen schien er stets zu überhören. Deshalb musste sie deutlicher werden und jegliche Zweifel ausmerzen: Mit Ledermini, Netzstrümpfen und High Heels machte sie ihre eindeutigen Absichten so deutlich wie irgend möglich.
Sobald Simon auftauchte, waren alle anderen Stammgäste vergessen. Lou scharwenzelte an seinem Tisch vorbei und griff sogar selbst ins Portemonnaie, um ihm noch ein Pint auszugeben, als es den Anschein hatte, er wollte nach Hause gehen. Schließlich – es war spät geworden, und die Bar leerte sich merklich – griff sie ihn sich.
»Noch Lust auf einen Absacker irgendwo?«
»Ähm, na ja. Ich glaube, ich habe schon genug getrunken«, antwortete er beschwipst.
»Ich dachte nur. Mein Stammtaxifahrer hat nämlich eben angerufen und mir gesagt, dass er mich heute Abend
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