Alicia II
entdeckt würde. Noch dazu im Hinterzimmer einer Kirche. Komm, ich kenne einen Weg hinaus.«
Wir stiegen eine Treppe hinunter und schlüpften aus einer Seitentür, die eher in einen Wandschrank als auf die Straße zu führen schien. Die Nacht war dunkel und ein bißchen neblig.
Nahebei wurde etwas gekocht, das ich nicht ganz identifizieren konnte, aber es brachte mir zu Bewußtsein, wie hungrig ich war. Alicia führte mich durch ein Labyrinth von Straßen zu einem Platz, wo eine Feier abgehalten wurde. Verschiedene Leute tanzten, andere wanderten Arm in Arm umher.
»Was ist das?« fragte ich.
»Ich weiß es wirklich nicht. Irgendein Fest, vielleicht ohne besonderen Anlaß. Im St. Ethel-Camp tun sie so etwas oft. Manche sagen, die Feste beruhten auf alten Bräuchen, andere behaupten, sie seien eingeplant wie alle anderen Dinge, die die Ausgemusterten vergessen lassen sollen, was ihnen bevorsteht. Jetzt graust es dir, wie?«
»Wo ich auch hingehe, habe ich den Eindruck, es ist eine große Verschwörung im Gange, mir Schuldgefühle einzubleuen.«
»Oder vielleicht, um die Schuld zu entfernen, die bereits da ist. Von einer Verschwörung weiß ich nichts, aber ich würde gern dafür sorgen, daß du dich schuldiger fühlst, als du es gegenwärtig zu tun scheinst. Die Art von Mord, die du …«
»Bitte, zerre nicht alle die alten Argumente wieder hervor. Ich bekomme sie oft genug von Ben zu hören.«
»Das sollte dir zu denken geben.«
»Wieso?«
»Die Menschen, die dich lieben, dich wirklich lieben, sorgen sich um dich. Die Menschen, die sich Mühe geben, dich zu überzeugen, daß du denken mußt wie sie, mögen die mitfühlendsten Menschen überhaupt sein.«
»Oder die fanatischsten.«
Eine Frau in unserer Nähe hatte ein paar Kleidungsstücke abgelegt und tanzte mit bloßen Brüsten durch die Menge.
Manche Dinge ändern sich nie.
»Möglich, daß ich bei der Verfolgung meines Ziels tendenziös werde, aber sieh es einmal mit meinen Augen an: Du bist ein Berg an Stumpfheit. Wie kann ich fortfahren, dich zu lieben, wenn ich weiß, daß du gegen alles bist, woran ich glaube?«
»Ich bin nicht gegen dich, ich bin nur …« Mir fiel nicht ein, was ich sagen sollte, ich wußte selbst nicht, was ich meinte.
»Besorgen wir uns etwas zu essen. Ich kann nicht gleichzeitig diskutieren und hungern.«
»Das ist ein taktischer Zug. Aber ich bin auch hungrig. Gehen wir.«
Wir fanden einen Stand, an dem es flache Fladen mit interessanten Gewürzen darauf gab. Unser Fladen schmeckte köstlich, und wir spülten ihn mit einer gelblichen Flüssigkeit hinunter, die einen zartsüßen Beigeschmack hatte. Am Rand des Platzes entdeckten wir eine Bank und saßen dort lange Zeit schweigend.
Alicia wollte mich nicht ansehen. Sie beobachtete die Leute auf dem Platz, die Tänzer und die Spaziergänger, Narren, die sich im Vorübergehen vor ihr verbeugten, Kinder, die den Erwachsenen zwischen den Füßen herumliefen. Ich berührte Alicias Hand, und anscheinend merkte sie es eine ganze Weile nicht. Schließlich sagte ich: »Es tut mir leid.«
»Gott, Voss, laß uns nicht wieder in eine solche Stimmung geraten. Dir tut es leid, mir tut es leid, verzeih, wenn ich dir wehgetan habe, und all dieser Unsinn. Im Grunde möchtest du nur, daß ich dir etwas Beruhigendes sage.«
»Ist das nicht verständlich?«
»Nein. Durchaus nicht. Aber frag mich nicht, warum. Die Erklärung wäre eine ebensolche Falle wie das dauernde Entschuldigen.«
Sie blickte weiter auf Dinge, die sie nicht zu sehen schien.
Ich hätte sie gern in den Arm genommen.
»Es ist nicht meine Absicht, dir irgendwelche Fallen zu stellen. Und es ist aufrichtig gemeint, wenn ich sage, es tut mir leid. Und wenn es nur wegen der Tatsache wäre, daß ich unfähig bin, dich
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