Alicia II
gehört.
Die Aufzugtür öffnete sich, und indirekte Beleuchtung ging an. Wir sahen vor uns eine Gangway, die zu einer hier oben aufgebauten Schiffswand führte. Neben der Gangway drehte sich langsam ein großes Schaufelrad. Lichteffekte zu unsern Füßen schufen die Illusion sich kräuselnden Wassers. Aber ach, gleich jenseits der Illusion konnte ich über mehr als fünfzig Stockwerke bis ins Foyer hinuntersehen. Ich war dankbar, daß die Gangway mit einer hohen, transparenten Seitenwand ausgestattet war. Patriotische Hintergrundmusik begleitete leise unseren Vormarsch. Auf dem »Deck« kam uns ein Mann im Tropenanzug entgegen und fragte, für welche Räumlichkeiten wir uns entschieden hätten. Pierre verlangte das Gramercy-Zimmer. Der Mann nickte und führte uns hin.
Das Gramercy-Zimmer war reich dekoriert, überreich sogar.
Als erstes fiel einem ein rotierender Kronleuchter auf, dessen unzählige Facetten störend glitzerten. Es standen zu viele elegante Tische mit Plüschdecken, zu viele mit Verzierungen überladene Möbelstücke herum, der Fuß sank zu tief in den Teppich ein. Von allem war zuviel da, vielleicht einschließlich der Gäste. Schwacher Zigarrenrauch ging mir umso mehr auf die Nerven, als ich niemanden rauchen sah. Pierre verlangte ein privates Speisezimmer. Ein Kellner führte uns an eine der sauber in die roten Samtwände eingelassenen Türen, und wir betraten eine kleinere Version des Hauptraums. Ich fühlte mich unbehaglich. Alicia ging es offenbar ebenso.
»Das Zimmer wirkt muffig«, sagte sie zu Pierre.
»Das macht einen Teil seines Charmes aus, Kind.«
»Sie sind das Kind, Pierre.«
»Entschuldigen Sie, Alicia, das sollte nicht herablassend klingen.«
»Tat es aber.«
»Sie sind viel zu direkt.«
»Zu direkt kann man gar nicht sein.«
»Ich frage mich, meine Liebe, ob Sie bei näherer Bekanntschaft weniger charmant sein würden.«
»Fragen Sie Voss. Er müßte es besser wissen als jeder andere.«
»Nun?« Pierre setzte für mich ein teuflisches Grinsen auf.
»Charmant«, sagte ich, »ist nicht ganz das Wort, das ich benutzen würde, um Alicia zu beschreiben. Aber andererseits kannte ich sie am besten, als sie neun Jahre alt und ein Lausemädchen erster Güte war. Es ist schwierig, den gegenwärtigen Charme einer Frau wahrzunehmen, wenn man sie mit neun gekannt hat.«
Alicia lachte.
»Voss«, erklärte sie, »ich vermute, du wolltest irgendwie diplomatisch sein, und das ist dir mißlungen. Oder du wolltest dich in epigrammatischer Kürze ausdrücken, und es ist dir mißlungen. So oder so, ich werde meine alten Geschichten über dich für mich behalten.«
»Bitte, tun Sie das nicht, meine Liebe«, fiel Pierre ein. »Ich liebe alle Geschichten, die auch nur den leisesten Hauch von Klatsch an sich haben.«
»Vielleicht erliegen Sie der Wirkung dieses historisch eingerichteten Raums.«
»Nein, ich habe nur ein Talent zur Dekadenz. Voss hat es bereits in Tätigkeit gesehen.«
Ich nickte zustimmend.
»Da wir gerade von Dekadenz sprechen«, fuhr Pierre fort, »welcher unserer Schwächen sollen wir hier nachgeben?«
»Keiner, wenn Sie nichts dagegen haben«, sagte ich. »Ich habe mich heute schon zweimal betrunken und bin von ihren Pillen zweimal wieder ernüchtert worden, und ich glaube nicht, daß ich das ein drittes Mal aushalten werde.«
»Das brauchen Sie nicht. Sie verkennen den Zweck dieses Lokals. Natürlich kann man hier trinken, aber die Hauptsache ist die historische Bedienung. Alles aus jener Periode, nach dem uns der Sinn stehen mag, kann uns aufgetischt werden, sofern es verfügbar ist. Da ist ein Handbuch.«
Nach einiger Diskussion entschieden wir uns für Popcorn (im Handbuch
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