Alicia II
abzulehnen. Sowohl Alicia als auch Pierre ignorierten mein Widerstreben. Wir alle sprangen auf einen kostenlosen Elektro-Bus, der in diesem Viertel die Runde machte. Der Bus, eine etwas kleinere Kopie der alten Londoner Doppeldecker, war grauenhaft überfüllt. Das war immer so, weil laut Gesetz des Abends auf den Straßen bestimmter Distrikte nur Busse verkehren durften. Das historische Aussehen des Fahrzeugs inspirierte Pierre dazu, Alicia seine Meinung darüber aufzutischen, daß alle Dinge ungeachtet neuer Entwicklungen die gleichen blieben. Er benutzte teilweise genau dieselben Phrasen wie bei unserer Mahlzeit mir gegenüber, und das überzeugte mich noch mehr, daß viele seiner Ideen auswendig gelernte Vorträge waren.
Wir stiegen vor einem pyramidenförmigen Gebäude mit breiter Basis aus. Die Kanten trugen wellenförmige Verzierungen bis oben hin. An der Spitze vieler dieser Wellen war ein Fenster.
»Was für ein Baustil ist das?« fragte ich.
»Kommerzieller Alptraum«, antwortete Pierre.
»Machen Sie Witze?«
»Nein. Nein, ganz und gar nicht. Kommerzieller Alptraum ist ein Stil der Gegenwart, obwohl ihm dieser Name nicht von seinen Schöpfern gegeben wurde. Seine kurze Blütezeit liegt – oh – ein paar Jahrzehnte zurück.«
»Es ist ein scheußlicher Stil.«
»Wenn Sie dies Gebäude scheußlich finden, sollten Sie erst die Manifestationen des Stils in den anderen Künsten sehen.«
Wir würden, so erklärte Pierre, das Amerika aufsuchen, einen Club auf dem Dach des Alptraumgebäudes. Wir gingen durch Türen, deren Rahmen ebenfalls Wellenform hatten, und kamen in ein konventionelles Foyer, das von einem enormen holographischen Wandbild, eine Szene der frühen amerikanischen Geschichte darstellend, beherrscht wurde.
Aufs Dach wurden wir von einem Lift innerhalb einer Glasröhre befördert, die sich im Mittelpunkt des Foyers erhob.
Während des langsamen Aufstiegs forderte uns eine Stimme aus einem Lautsprecher auf, die Figuren auf den Außenseiten der Balkons zu bewundern, die uns in jedem Stockwerk umgaben. Sie waren, so informierte uns die Stimme, die letzten Überbleibsel dieser Dekorationen aus früheren Perioden der New Yorker Architektur und würden hier erhalten, nachdem man sie von Müllhalden und aus zusammenbrechenden Gebäuden gerettet habe. Es war eine interessante Sammlung.
Häßliche, bücherlesende Mönche, fluchtbereite Wasserspeier, Masken, die aussahen, als ob sie gleich zu sprechen beginnen würden. Alicia meinte, eine Figur, ein drachenähnliches Ungeheuer, das auf den Aufzug zuzuspringen schien, lasse ihr kalte Schauer das Rückgrat hinauf und hinunter rieseln. Mich faszinierte der Zackenkamm, der über Kopf und Körper lief.
Pierre hatte natürlich eine eigene Meinung über die Geschichte architektonischer Höhepunkte, aber ich hörte ihm nicht zu und erinnere mich nicht einmal mehr, ob er sich billigend oder mißbilligend aussprach.
Der Aufzug hielt vor dem Amerika. Ein Neonzeichen, eingeschaltet durch das Halten des Lifts, begann zu flackern.
Die Lautsprecherstimme lud uns ein, unsere Gedanken zurück auf die beinahe dreihundert Jahre alte Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika zu richten, auf die Ideale und die Schönheit, die verlorengegangen seien, als das Land zwecks Bildung einer Weltregierung aufgelöst wurde. Kurz zusammengefaßt trug die Stimme all die Klagegesänge über das Opfer vor, das eine große Nation zum Wohle der größeren Gemeinschaft gebracht habe. Das hatte ich seit meiner Kinderzeit, als das Ereignis stattfand, immer wieder
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