Alicia II
diesem kleinen Bastard kein Erbe hinterlassen, darauf kannst du wetten. Komisch, aber ich dachte, du wärst bereits weg, Ernie. Das soll natürlich kein …«
»So wird es wahrscheinlich sein. Ich bin nicht Ernie. Dieser Körper mag ihm gehört haben, doch ich fürchte, er ist dahin.«
Ich glaube, ich sprach wie der typische kalte Fisch. Eis schimmerte auf meinen Schuppen. Ernies Freund nickte und hakte einen schwieligen Daumen in den Gürtel seiner Robe.
»Tut mir leid, entschuldigen Sie«, murmelte er, seine Wut hinunterwürgend. Dann schlängelte er sich in einen anderen Teil des Wagens. Während der ganzen Fahrt blickte er oft mit seinen bewölkten, kummervollen Augen zu mir hinüber.
7
Wenn ich wollte, könnte ich eine hübsch romantische Darstellung meines Abschieds von Alicia auf dem gedrängt vollen Lakeshore-Bahnhof im Cleveland-Meglop geben. Die Einzelheiten retuschieren, die Andeutung einer späteren Neigung in ihren tränengefüllten Augen erkennen (tatsächlich strahlten diese Augen fröhlich und hielten sicher schon nach neuen Abenteuern Ausschau). Aber wir sollen den Pfad der Liebe nicht mit künstlichen Rosen bestreuen. Alles spielte sich gehetzt ab. Atemlose Erklärungen, Versprechen, sich wiederzusehen, die doch gebrochen wurden, ein verrücktes Hinstürzen zum Ausgang. Vielleicht zauste ich kurz ihre blonden Locken, vielleicht streichelte ich ihr wie ein guter Onkel den Kopf, war einen Augenblick lang traurig über den Abschied, so in der Art. Aber es beschäftigte mich viel mehr, daß ich nun mit meinem zweiten Leben anfangen konnte. Mein Körper begann, ordnungsgemäß zu funktionieren, und ich brannte darauf, ihn zu erproben. Ich sehnte mich danach, lange entbehrte Freuden zu genießen.
In meiner ersten Lebensspanne war ich ein solcher Einsiedler gewesen, daß ich meiner Meinung nach in dieser Runde ein erfüllteres Dasein brauchte – etwas Besseres, als mich tief in einer unterirdischen Höhle mit einer Enklave von Experimentatoren zu vergraben, die ebenso eremitenhaft veranlagt waren wie ich. Wenn ich jetzt mit einem Abstand von einer ganzen Lebensspanne auf mein erstes Leben zurückblicke, finde ich in meiner Erinnerung nur noch die trivialen Einzelheiten des Alltags. Meine Kenntnisse wurden damals mißbraucht und sind heute veraltet, und ich habe sogar jene Tatsachen und Theorien vergessen, die jede wache Minute meiner Zeit in der Enklave erfüllten. Nichts von meinen dort gemachten Erfahrungen liefert Stoff für Erzählungen eines alten Mannes von der großen Vergangenheit. Ich heiratete innerhalb der Gruppe, das taten wir alle. Einer von uns war sogar Spezialist für Inzucht, was Anlaß zu einigen anstößigen, aber echt komischen Witzen gab. Selenas Fachgebiet war die Soziogenetik. Sie war ein Mädchen mit sanftem Gesicht und unterentwickeltem Körper. Obwohl wir ausgezeichnet zusammen arbeiteten, regten wir uns nur selten zu sexueller Leidenschaft an.
Schließlich wurde der sexuelle Akt überflüssig, und wir verzichteten darauf. Unser Bett sackte an den Seiten statt in der Mitte ein.
Zu Beginn der mittleren Jahre, wenn derlei fast unvermeidlich ist, hatte ich eine Affäre mit Lanna Petersen, einer funktionell attraktiven brünetten Programmiererin. Doch wenn sie sich auch mehr sexy gab als Selena, war im Bett eigentlich nicht viel Unterschied.
Mein Lebenswerk ist zusammengeschmolzen zu einer Fußnote in einer Fachzeitschrift, die selten zu Rate gezogen wird. Selena starb. Ich wurde zum Sonderling. Die erneuerte Selena war eine knubbelige, schlecht angezogene Blondine.
Ich starb im
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