Alicia II
Schlaf.
Während der Rekonvaleszentenzeit hatte ich über den möglichen Inhalt meines neuen Lebens heftig nachgedacht.
Selena hatte mich mehr oder minder direkt gebeten, in die Enklave und zu ihr zurückzukehren. Ihr sei das gleichförmige Leben in der Enklave ein Trost, meinte sie, denn das Durcheinander in der Welt draußen gehe über ihre Kräfte.
Aber ich antwortete ihr entschlossen nein, mein Liebling, nicht noch einmal dasselbe. Nein, von dieser Runde erwartete ich mir einen Schmaus, ein Fest, einen Freudenrausch. Vollsaftige Erlebnisse sollten diesmal den Grundstock zu fesselnden Geschichten legen, die ich im Alter erzählen konnte. Mich verlangte es nach gefährlichen Abenteuern, nach den leckeren Früchten der Zerstreuung, nach regelmäßig eingeplanten Orgien. Wie sich herausstellte, bekam ich nicht alles davon. Im Gegensatz zu dem volkstümlichen Glauben ist die Erfüllung von zwei Wünschen unter dreien nicht genug.
Vor Beginn meines abenteuerlichen Lebens mußte ich einen Besuch abstatten. In seinem ersten Leben war Dr. Ben Blounte der beste Freund meines Vaters gewesen. Sie wuchsen zusammen auf, feierten Doppelhochzeit und starben sogar nur Wochen voneinander getrennt. Das einzige, was sich nicht Hand in Hand bewerkstelligen ließ, war die Erneuerung. Als die meines Vaters fehlschlug, trauerte Ben mit der Familie.
Sein Leid hatte damals in meinen Augen etwas Bizarres an sich – da vergoß ein kräftiger junger Mann Tränen um einen Greis, der ihn bei seinem letzten Besuch, als Ben gerade erneuert worden war und voll Freude seinen neuen Körper herzeigen wollte, nicht einmal mehr erkannt hatte.
Während meines Lebens in der Enklave hatte ich mir nur für meine jährlichen Besuche bei Ben erlaubt, mein Asketentum zu unterbrechen. Er pflegte mich mit aller Gründlichkeit doppelt und dreifach zu untersuchen. Das letzte Mal, als wir einander sahen, hatte er verlangt, mein erster Weg nach der Erneuerung und Rekonvaleszentenzeit müsse zu ihm führen.
Cleveland, einer der letzten Orte, der die moderne Stadtplanung und Architektur noch nicht eingeführt hatte, hatte sich nicht sehr verändert. Es war nach dem unpraktischen Gittersystem angelegt. Die Gebäude erhoben sich senkrecht nach oben und bohrten sich ebenso in die Erde. Die Straßen waren mehr oder weniger gerade und kreuzten sich in fast rechten Winkeln. Einschienenbahnen bummelten vorbei. Es gab sogar hier und da noch funktionierende Gleitbürgersteige.
Und der Straßenverkehr ließ einen bedauern, daß in mehr als zwei Jahrhunderten so wenig Fortschritt auf dem Gebiet des Fahrzeugtransports erzielt worden war. Cleveland war eine unlogisch moderne Stadt, als versteckten Hüllen und Fassaden nur die industrielle Scheußlichkeit, die Zerstörerin des großen Sees, die es einmal gewesen war. Ich habe das Gefühl, wie die Zeiten sich auch entwickeln, Cleveland wird immer hinterherhinken. Ich fühlte mich dort wohl.
Ben hatte seine Praxis in der gleichen Höhle, die er seit beinahe einem Jahrhundert benutzte, im neunzigsten Untergeschoß eines alten Gebäudes. In Bens Wartezimmer nannte ich dem rostigen alten Robot-Sekretär einen falschen Namen, obwohl ich wußte, die Maschine gab sowieso jede Botschaft verstümmelt weiter. Ich hörte Ben im Nebenraum brummen. Er verwünschte die konfusen Informationen des Robot-Sekretärs.
»Kommen Sie herein, wer Sie auch sein mögen!« rief er. Das Licht über der Tür ging an. Ich legte meine Hand auf den mit »Eintreten« gekennzeichneten Streifen, und die Tür, ein weiteres Stück überalterter Einrichtung, holperte zur Seite.
Vor mir lag dasselbe alte
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