Alicia II
Sprechzimmer. Ein häßlicher schwarzer Drehschreibtisch, der gefährlich auf seinem Zapfen wackelte. Mißgestaltete Kontursessel für die Patienten (man mußte schon wirklich krank sein, wenn man auch nur in Betracht zog, sich in einen zu setzen). Der schiefe Turm eines Untersuchungswürfels. Die holographischen Jagd- und Fischereibilder, die die früheren Großen Augenblicke der Medizin ersetzt hatten (ihre pastorale Einfachheit war viel ansprechender, und außerdem waren die Großen Augenblicke ein bißchen zu blutig gewesen). Verschiedene Geräte und Instrumente des ärztlichen Berufs waren unordentlich im Raum verstreut. Ben kam hinter dem Schreibtisch hervor, der noch schräger kippte, als seine Hüfte ihn streifte. Seine ausgestreckte Hand schien seinen Körper hinter sich herzuziehen. Tränen standen ihm in den Augen. Mir auch.
Er umarmte mich. »Verdammt noch mal, wie hast du mich so schnell erkannt?« fragte ich.
»Ganz gleich, was für ein Gesicht du erbst, du wirst immer mit dem gleichen dämlichen Ausdruck darauf ins Zimmer kommen.«
Ben trat von mir zurück, und ich sah ihn mir an. Er war viel älter geworden, was mich nicht überraschte. Sein Gesicht hatte tiefe Falten, und sein Körper zeigte die Magerkeit des Alters.
Aber die wachen braunen Augen musterten einen immer noch Zoll für Zoll mit dem Blick des Arztes, auch wenn man nicht zur Untersuchung kam und rein zufällig vor ihm stand. Er wies mich an, mich zu setzen. Ich tat mein Bestes, mich in die unnatürliche Stellung zu verbiegen, die der Kontursessel verlangte. Mir war, als spürte ich durch meine dünne Kleidung die groben Fäden des Kissens (Ben kaufte immer Ausschußware und Reste).
»Soll ich dich gleich untersuchen?«
»Nicht jetzt. Zu offiziell. Ich komme morgen oder übermorgen wieder. Gib mir einen Termin.«
»Morgen früh um neun.«
»Ich bin pünktlich, das verspreche ich.«
»Es gibt noch einen guten Grund für eine sofortige Untersuchung, und ich bin sicher, das Zentrum hat es vermieden, dich darüber aufzuklären.«
»Und der wäre?«
Er stand auf, trat an das Fenster mit der ländlichen Szene und blickte hinaus, als pulsiere das Bild vor Leben. Er kreuzte die Arme und dachte nach. Ich erkannte die Anzeichen. Er nahm seine professionelle Haltung an.
»Sabotage ist der volkstümliche Ausdruck dafür, mein lieber Voss.«
»Was? Sind wir wieder in einem anarchistischen Zyklus oder so etwas?«
»In gewisser Weise ja. Vor allem in dem Sinn, daß Anarchie im allgemeinen Angriffe der Unterdrückten auf die glücklicheren Menschen über ihnen mit einschließt.«
»Und sie sprengen Gebäude in die Luft? Ich verstehe nicht, wie …«
»Nein, diesmal ist die Sabotage auf Körper gerichtet, nicht auf Eigentum. Das ist ganz neu und hat sich erst bei den in den letzten paar Monaten Erneuerten gezeigt. Ich selbst habe noch keinen Patienten gehabt, an dessen Körper herumgepfuscht worden ist. Deshalb habe ich keine unmittelbare Erfahrung mit Körpersabotage. Man hätte statt an Sabotageakten wahrscheinlich nur an zufällige Defekte oder in einigen Fällen an ein Versagen des Erneuerungsprozesses geglaubt, wenn nicht einer der radikalen Ärzte ein anonymes Geständnis abgelegt hätte. Und da fing man an, die Unterlagen durchzusehen, und …«
»Warte mal! Ich komme längst nicht mehr mit. Sabotage? Erkläre mir das.«
»In diesem Fall heißt Sabotage, daß der Körper eines Ausgemusterten verändert wird, bevor er oder sie in die Kammer geht. Etwas wird entfernt, oder etwas wird eingepflanzt, oder etwas wird gerade so weit verändert, daß es das Leben für den neuen Besitzer des Körpers – nun – unbequem macht. Wenigstens eine
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