Alicia II
Leuten Meinungen aufzudrängen, die zweihundert Jahre lang die gleichen geblieben waren. Sieh mal, ich will kein Urteil über seinen Wert fällen, über sein …«
»Ich verstehe. Sein Wert als menschliches Wesen könnte deinem Glauben, daß er sterben mußte, in die Quere kommen, stimmt’s? Der Tod einer bestimmten Person ist schrecklicher als der Tod einer Figur, eines Dings, einer Nummer in einem Attentatsplan?«
Alicia, die schon ein ganzes Stück von mir entfernt saß, drückte sich in die Couchecke. Ich wußte nicht, ob der Haß in ihren Augen ihr selbst oder mir galt.
»Ganz wie du willst«, sagte sie.
»Nein, Alicia! Du erzählst mir das alles. Du hast damit angefangen. Sprich weiter. Erkläre es mir. Wer weiß, vielleicht mußt du eines Tages für Tripletts Team mit dem Finger auf mich weisen, damit …«
»Gottverdammt noch mal, das ist nicht fair!«
Ich nahm einen tiefen Atemzug, versuchte, meinen Körper der Kontrolle meines Geistes zu unterwerfen. Meine Arme fühlten sich an, als wollten sie um sich schlagen, meine Beine trieb es, unter mir zusammenzubrechen. Es war soviel Schmerz in meinem Kopf, daß ich keinen speziellen Schmerz fand, auf den ich mich hätte konzentrieren können.
»Nein, es ist nicht fair. Tut mir leid. Ich gebe mir Mühe, es zu verstehen, eine Sache, die in meinen Augen wie ein Mord aussieht, mit deinen Augen zu betrachten. Ich … ich liebe dich, und ich möchte …«
Alicia lachte plötzlich, ein hartes, durchdringendes Lachen, das mehr von einem Angriff an sich hatte als ihre Worte.
»Großartig«, sagte sie. »Herrlich. Endlich, in der Mitte einer Diskussion über meine Vorzüge und Fehler als Mörderin sagst du mir, daß du mich liebst. Wie sinnig und romantisch von dir! Möchtest du die Giftphiole mit mir teilen, oder tun wir das im Freien? Können wir …«
»Verzeih mir, ich habe nur versucht … ich wollte dir nur zeigen, daß … ich weiß nicht, was ich wollte. Ich sagte, ich liebe dich, um dir die Sicherheit zu vermitteln, daß ich dich nicht beschuldige, daß ich dich nicht …«
»Du hast gerade gesagt, du liebst mich. Du liebst mich gar nicht, und doch hast du es gesagt.«
»Das ist nicht wahr. Aber vielleicht doch. In gewisser Weise. Vielleicht …«
»Du liebst mich also nicht. Und?«
»Ich liebe dich. Das sollte ich nicht, aber …«
»Natürlich sollst du es, du kannst es, du darfst es. Du kannst drei Riesenschritte tun und mich lieben. Ich wünsche mir, daß du mich liebst, habe es mir immer gewünscht seit ich weiß nicht mehr wann. Sag nichts, erläutere mir nichts, halte dich nicht bei Ausdeutungen auf. Halt mich fest, das ist am besten, halt mich fest.«
Die Bewegung, mit der sie sich aus ihrer Couchecke abstieß, erinnerte mich an einen Schwimmer, der sich von der Stange am Rand des Bassins löst. Ich hielt sie lange Zeit in meinen Armen, bevor wir von neuem sprachen.
»Ich kann nicht erklären, wie mir heute zumute war«, sagte Alicia, »als wir in diesem gräßlichen Lokal waren, in diesem häßlichen, überdekorierten Raum, den Pierre so liebte. Während ich darüber nachdachte, wie verfahren alles war und wie ich dich und mich aus der Sache herausholen und Triplett erreichen und davon abbringen könne, das durchzuführen, was immer er planen mochte, damit ich nicht hineinverwickelt wurde und ohne Schuld blieb – während ich über all das nachdachte, kehrten meine Gedanken doch immer wieder zu der Frage zurück, wie es möglich sei, daß Pierre für einen so häßlichen Raum, ein so häßliches Lokal schwärme. Ich bin schon im L’Etre gewesen, und auch dieses Restaurant hasse ich. Wie konnte er ein Leben oder den Teil eines Lebens derartig schalen, trivialen Dingen weihen?«
»Von seinem Gesichtspunkt aus waren sie nicht trivial. Trivial war in seinen Augen die Rebellion, die dir teuer
Weitere Kostenlose Bücher