Alicia II
mitten aus einem vollbesetzten Restaurant heraus zu entfuhren. Ich hatte nie eine Chance, uns zu retten. Er wollte mir die Chance nicht geben. Klug von ihm. Man muß ihn bewundern, selbst wenn man ihn abstoßend findet. Er begehrt mich, weißt du – entschuldige die Abschweifung.«
»Begehrst du ihn?«
»Kaum.«
»Dann ist das eine Abschweifung wohl nicht wert.«
»Okay. Dann gibt es aber sonst nicht mehr viel zu erzählen. Ich saß da und versuchte, mir etwas einfallen zu lassen, du saßt da und zeigtest ein sehr sympathisches und gutgeschnittenes Gesicht, Pierre saß da und mühte sich ab, eindrucksvoll zu wirken. Und Triplett steckte uns alle in die Tasche. Das war saubere Arbeit mit der einen Ausnahme, daß er bezüglich deiner Person nicht genug Vorsicht walten ließ. Merkwürdig. Gott, ich sehe immer noch vor mir, wie Richard den armen Pierre über das Geländer warf. Wenn du dich nur nicht eingemischt hättest.«
»Sollte ich ruhig sitzen bleiben, sollte ich es zulassen, daß sie Pierre entführten, daß sie ihn …«
»Es tut mir leid, daß ich das gesagt habe. Ich wollte dich nicht für Pierres Tod oder sonst etwas verantwortlich machen. Es ist nur so, daß diese Erinnerung mich verfolgen wird. Immer werde ich …«
»Warte. Wenn sie mit ihm entkommen wären, dann, so nehme ich an, hatten sie nichts Gutes mit ihm vor.«
»Nein. Wohin sie ihn auch gebracht hätten, sie hätten ihn getötet.«
»Welchen Unterschied macht es dann aus, daß ich mich eingemischt habe? Schließlich hätte ich ihn ja auch retten können.«
»Und sie hätten ihn später an einem anderen Ort umgebracht. Aber du hast recht. Und vielleicht war es gut, daß ich es gesehen habe. Wir sollten uns unsere Opfer nicht als Zahlen denken, als Ziele auf einer Generalstabskarte oder so etwas. Vielleicht ist es gut, den Tod mitzuerleben, zu …«
»Bitte, hör auf, Alicia. All dies Gerede darüber ist für mich zu kalt, zu distanziert.«
»Kalt und distanziert, wie? Das ist einmal eine Abwechslung: Du wirfst mir vor, kalt und distanziert zu sein. Ich bin es aber nicht mit Absicht. Es ist – nun – es ist Teil der Aufgabe, nehme ich an.«
»Welcher Aufgabe?«
»Der Aufgabe, ein Killer oder doch ein Mitglied eines Killer-Teams zu sein. Eine distanzierte Haltung gegenüber dem Opfer, kombiniert mit einer tiefempfundenen Hingabe an die Sache ist ein grundlegendes Erfordernis. Gott, Voss, sieh mich nicht so an. Ich bin keine wahnsinnige Massenmörderin. Ich liebe es nicht zu töten, ich habe beim Tod eines Opfers keinen Schaum vor dem Mund. Bei unseren Treffen habe ich gegen diese Attentate auf Einzelpersonen gesprochen. Sie richten nicht viel aus, ihr Wert für die Sache im ganzen ist fragwürdig. Das ist nur nutzloser Terror, während weiterreichende Maßnahmen getroffen werden sollten. Niemand ist auf meiner Seite, ausgenommen zwei der anderen, und das nützt …«
»Entschuldigt es dich, wenn du Vernunftgründe vorträgst, wenn du diskutierst – und dann doch mitgehst und bei dem Attentat hilfst?«
»Dieser Einwand mußte ja kommen, und ich hasse dich dafür. Nein, es entschuldigt mich nicht. Ganz und gar nicht. Ich muß ihnen helfen, denn andernfalls wäre ich nicht imstande, überhaupt etwas zu erreichen. Überfälle müssen durchgeführt, Leid muß verursacht werden. Ich – bist du je auf den Gedanken gekommen, was Vernunftgründe gegen eine Gesellschaft von Erneuerten, die alle überzeugt sind, sie brauchten ihre sämtlichen künftigen Lebensspannen, ausrichten würden? Voss, würdest du dich mit uns an einen Tisch setzen und diskutieren und Verzicht auf dein Recht zur Erneuerung leisten?«
»Vielleicht.«
Sie lachte.
»Teufel, vielleicht würdest du es wirklich tun. Aber du bist ein seltener Fall, das weißt du selbst.
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