Alicia II
Jedenfalls sind wir in eine Sackgasse geraten. Zusätzliche Lebensspannen zu geringen Kosten oder Gerechtigkeit für alle. Ich muß mich ausruhen, bin sehr müde, sei bitte ruhig.«
Sie legte ihren Kopf an meine Schulter und schlief ein.
Sofort. Ihr Atem, leicht, aber hörbar, war rhythmisch, zufrieden. Sie schlief etwa eine halbe Stunde, was mir reichlich Zeit zum Nachdenken ließ. Ich wollte in den nächsten Jahren zu Alicia nicht in einer Beziehung stehen, die sich letzten Endes als wert- und sinnlos erweisen mußte. Ein Analytiker mochte anderer Meinung sein, aber Zärtlichkeit war nicht genug, emotionale Ausbrüche einer platonischen Zuneigung waren nicht genug. Sollte ich Alicia verlassen, sollte ich wieder in den Raum gehen? Nein, mit diesem Fluchtweg hatte ich es bereits versucht, und dabei hatte ich entdeckt, daß Flucht ein relativer Begriff war. Ich mußte auf der Erde, bei Alicia bleiben. Ich würde den Schmerz, von ihr getrennt zu sein, nicht ertragen, soviel war mir jetzt schon klar.
Ich konnte sie nicht verlassen, und wenn ich bei ihr blieb, ertrank alles in Bitterkeit. Der Gedanke, der immer wieder auftauchte, während ich Alicia in meinen Armen hielt, lautete: Ich muß etwas tun. – Ich würde etwas tun.
Sie erwachte plötzlich und tat, als habe sie nicht geschlafen.
»Und deshalb«, sagte sie, »ist das Leben schön. Gänseblümchen wachsen auf Atommüll-Ablagerungsstätten, die Stadt wird an jedem Tag, den der Wetterplan vorsieht, von der Sonne beschienen, der häßliche Satelliten-Mond ist beinahe tot, und wir, die wir hier innerhalb der gesunkenen Titanic gefangen sind, vermissen ihn nicht im geringsten. Was kann ich dir anbieten?«
»Nichts. Aber ich sollte gehen.«
»Nein, das solltest du nicht. Bleib.«
»Ich dachte soeben das Gegenteil.«
»Dann hör sofort auf damit.«
»Nicht so einfach.«
»Okay, bleib nicht für immer. Bleib nur heute nacht, wie wär’s damit?«
»Das sind noch etwa zwei Stunden.«
»Großartig. Oder hast du eine Verabredung oder so etwas?«
»So etwas. Hast du etwas da, das Kaffee ähnelt?«
»Und ob!«
»Starken Kaffee?«
»Mein Kaffee verwandelt Löffel in geschmolzenes Silber.«
»Genauso mag ich ihn.«
»Großartig.«
Wir tranken Kaffee und sprachen sehr wenig. Alicia schlief wieder ein. Ich fand eine leichte Decke, breitete sie über sie und ging.
8
Es war zwar immer noch früh am Morgen, aber die Außentür von Bens Büro war nicht verschlossen. June saß nicht auf ihrem Posten vor Bens Zimmer, also klopfte ich leicht an die Innentür. Erst raschelte es drinnen, dann kam Ben. Er spähte durch einen Spalt nach dem Eindringling aus, sah mich an, als könne ich ein amtlicher und unwillkommener Besucher sein, und dann erhellte sich sein Gesicht, weil es nur der gute alte Voss war. Er öffnete die Tür weit. Überrascht entdeckte ich Falten in seinem jungen Gesicht und schwarze Ränder um den Augen. Die Augen selbst waren anders. Obwohl er lächelte und mich mit seiner üblichen Herzlichkeit begrüßte, blieben die Augen leer, als sei er plötzlich blind geworden und versuche, mich darüber zu täuschen.
»Wo ist June?« erkundigte ich mich.
»Ich weiß es nicht. Sie ist seit Tagen nicht mehr hier gewesen und hat mir keine Nachricht gegeben.«
Ich fragte mich, ob sie irgendwo mit Stacy stecke, wollte aber über das Thema nicht mit Ben sprechen.
»Als ich dich das letzte Mal besuchen wollte, warst du nicht in der Stadt.«
»So ist es. Zumindest war ich nicht im Büro.«
»Ein Auftrag der Regierung, sagte June.«
»Nein. Ich hatte ihr aufgetragen, das zu sagen, aber das war es nicht.«
»Was war es denn?«
Er betrachtete mich mit diesen leeren Augen, verzog leicht das Gesicht und forderte mich schließlich auf: »Komm herein. Ich habe eine Menge
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