Alicia II
sagte Alicia, »es ist abstoßend. Wie konnten intelligente Menschen so etwas tun? Wie konnten sie auf diese Weise denken? Wie konnten …«
»Langsam, meine Liebe, laß den Rückblick das Wunder der Entdeckung nicht trüben. Diese Leute waren außerordentlich optimistisch. Denke daran, sie hatten die Grenzen der genetischen Manipulation, der körperlichen Heilung, der psychischen Anpassung überschritten. Du würdest staunen über all die sonnigen Theorien, die sie seinerzeit auf das Erneuern anwandten. Die Leute, die an dem Projekt arbeiteten, betrachteten es als glorreiche Errungenschaft. Mach dir klar, Alicia, daß solche Leute für gewöhnlich nicht über ihr Fachgebiet hinausblicken. Voss hier kann dir aus seinem ersten Leben einige Einsichten in diese Art des Denkens vermitteln. Stimmt’s, Voss?«
»Ja, es stimmt. Es hat Zeiten gegeben, in denen mir der Gedanke, die Enklave zu verlassen, Entsetzen einflößte.«
»Die Väter des Erneuerns«, fuhr Ben fort, »sahen nie voraus, welcher Gebrauch davon gemacht oder daß es Grundlage eines ganzen sozialen Systems werden würde. Hätten sie weiter mit Lust und Liebe daran gearbeitet, einigen wenigen Auserwählten neues Leben zu geben, anderen verhaßtes Leben zu nehmen, und das alles isoliert von der übrigen Menschheit, dann hätten sie dieser wohl einen nützlichen kleinen Dienst erwiesen, wie sie es in ihrem Optimismus glaubten. Nur schade, daß sie in ihrer Großmut zu viele glücklich machen wollten. Außerdem war das Erneuern meiner Ansicht nach eins der Geheimnisse, die nie lange bewahrt werden können. Wie, zum Beispiel, hätte man die frisch Erneuerten daran hindern sollen, die Wunderwirker zu preisen, die ihnen zusätzliche Lebensjahre geschenkt hatten? Seht ihr, es gab zu viele Komplikationen. Die Optimisten in den Erneuerungszentren wollten das Geschenk des Erneuerns der Allgemeinheit zugänglich machen. Ein paar Weitsichtige sahen Konsequenzen voraus, aber die Menschheitsbeglücker hielten ihre Spekulationen für absurd und für Schwarzmalerei. Eine weise Anwendung der Erneuerung würde uns herrliche Zeiten bringen, dachten sie. Die Unheilverkünder genössen es nur, die schlimmsten Möglichkeiten zu erwägen. Seht euch die Geschichte der Organverpflanzung an, sagten sie. Auch da hat es eine Zeitlang negative Auswirkungen gegeben, aber heute ist es selbstverständlich geworden. (Damals gab es bei Transplantationen nämlich kaum Schwierigkeiten, wißt ihr.) Folglich müsse das Erneuern allgemein bekanntgemacht werden, entschieden sie. Sie machten sich nicht klar, daß es für die Menschen einfach zu gut war.«
»Zu gut!« rief Alicia. »Also, Ben, das ist …«
»Okay, vielleicht war der Ausdruck schlecht gewählt. Aber ihr müßt verstehen – auch ich glaube, das Erneuern könnte eine wundervolle Sache sein. Der Gedanke, bestimmte Menschen zu erhalten, deren Existenz uns bessert und erleuchtet, sagt mir zu. Vorausgesetzt, es gäbe eine vernünftige Methode der Kontrolle. Selbst das Spenden von Körpern – wenn es freiwillig durch Selbstmörder geschieht – ist nichts Böses. Aber Tatsache ist, wir erneuern nicht unsere Götter, und die Körper werden unrechtmäßig in Besitz genommen, und vielleicht hat es nie einen idealistischen Weg gegeben, Unsterblichkeit zu erlangen. Vielleicht sind alle Konzepte der Unsterblichkeit zum Untergang verurteilt, weil es um die Unsterblichkeit von Menschen und nicht von Göttern geht. Wer weiß? Das ist auch so ein Diskussionsthema aus meiner Jugend. So, wie es ist, müssen wir versuchen, das System zu vernichten. In dem Augenblick, als die Väter des
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