Alicia II
Beine stampften auf und nieder wie die Spindel einer altmodischen Nähmaschine.
Eine Weile blieb sie stehen und bespritzte mich mit Wasser und Drohungen. Als ich mich steifbeinig auf sie stürzen wollte, kreischte sie, stolperte zurück, geriet kurz unter Wasser und kam in anmutiger Rückenlage wieder nach oben.
»Ich rette mich auf das Floß, bevor du mich kriegen kannst!« schrie sie. Und natürlich schaffte sie es. Ich konnte nicht einmal ein Viertel des Weges zurücklegen. Dann mußte ich meine meuternden Muskeln zwingen, mich an den Strand zurückzubefordern, wo ich zusammenbrach. Ich muß wie eine Marionette ausgesehen haben, deren Schnüre gerade durchgeschnitten worden sind.
»Nicht weiter als bis zum Floß, du böses Kind!« erschallte eine Stimme von einem Standort über und hinter mir. Alicias Vater, Mr. Reynal. Er kam kaum jemals an den Strand herunter. Über den Sand schritt er mit zögernden Füßen, so wie wir anderen an einem kühlen Tag die Zehen ins Wasser steckten, und er war immer von Kopf bis Fuß vermummt, obwohl er inkonsequenterweise hutlos ging. Bis dahin hatte er nur selten mit mir gesprochen. Ein stummer Gruß jedes Mal, wenn er mir seine Tochter überließ, ein Grunzen, wenn er sie wieder in Empfang nahm, eine schroffe Ablehnung jeder Einladung. Sein Gebrüll in diesem Augenblick war eine ebenso angenehme Überraschung wie sein zorniges Explodieren. Er war Astrophysiker, und sein normales Gesicht war so bar jeden Ausdrucks wie das eines Ausgemusterten in der Warteschlange.
»Sie droht ständig, sie wolle das unvergiftete Gebiet verlassen«, erklärte er. »Sie wolle vom Floß aus zu dem Riff hinüberschwimmen und die Stellen finden, wo, wie die Sage behauptet, Menschen auf dem Wasser gehen können.«
Zwei Sätze hintereinander waren bei ihm so etwas wie eine mir gewährte Gratifikation, und dazu kam noch die Ironie als ganz besondere Belohnung. Ich forschte in seinem Gesicht nach dein Gefühl hinter den Bemerkungen, aber sein Zorn war verschwunden, und er hatte seine übliche Passivität wieder angenommen.
»Kinder drohen immer«, sagte ich, wobei es ein Geheimnis blieb, wo ich dies praktische Wissen erworben hatte. »Es ist nichts als eine Art Kompromiß mit den Kompromissen des Lebens. Sie müssen dagegen ankämpfen, ehe sie sich ihnen fügen. Alicia ist ein sehr aufgewecktes Kind.«
Ich war bestürzt über meine Taktlosigkeit und hätte mir am liebsten die Zunge abgebissen. Die Bemerkung war ganz harmlos, wenn sie sich auf ein qualifiziertes Kind bezog, aber bei einem ausgemusterten war sie eine schreckliche Beleidigung, und ich hatte noch nicht in Erfahrung gebracht, in welche Kategorie Alicia gehörte. Ihr Vater reagierte jedoch auf meinen Ausrutscher nicht. Was in Anbetracht der wenigen Reaktionen, die ich an ihm beobachtet hatte, gar nichts bewies.
Lange Zeit saßen wir da und sahen Alicia zu, die auf dem Floß herumtobte. Sie führte ein ruckartiges Tänzchen auf, das sie aus dem Film Holocaust des Jahres 2133 hatte. (Wir hatten ihn gestern abend gesehen.) Sie suchte sich auf dem Floß Schlammklumpen zusammen und rieb sich damit Arme und Stirn ein.
Schließlich sprach ich. Höflich, taktvoll, klug und mit der erforderlichen Rücksichtnahme.
»Ist Alicia ausgemustert?«
Abgesehen davon, daß ich diese Information unbedingt haben mußte, hatte ich auch den perversen Wunsch, das Aufflackern einer Emotion im Gesicht dieses Mannes zu sehen. Aus beiden Gründen schlug mir das Herz bis zum Hals, als er mich ansah.
»Nein.« Weder seine Stimme noch sein Gesicht gaben einen Hinweis auf seine Stimmung. Meine Erleichterung kann ihm nicht entgangen sein.
Für den Fall, daß er
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